Unternehmensverantwortung

Unternehmen zwischen Haltung und Verantwortung

Unternehmen zwischen Haltung und Verantwortung

Die Reaktionen der Unternehmen auf den Krieg in der Ukraine sind so unterschiedlich wie die Unternehmenslandschaft. Durch die Bank wurde der russische Angriff zwar verurteilt und auch mit Hilfsangeboten waren zahlreiche Unternehmen schnell zur Stelle. Doch bei der Frage, ob man sich aus Russland zurückziehen soll, entwickelte sich ein vielstimmigeres Bild. Am schnellsten wurden noch Handelsbeziehungen mit Russland und Investitionsvorhaben in Russland gestoppt. So haben praktisch alle namhaften Automobilhersteller ihre Geschäfte für beendet erklärt oder zumindest vorübergehend auf Eis gelegt. Ganz ähnlich sieht es in den meisten anderen Branchen aus, ganz gleich, wie stark diese von den staatlichen Sanktionen betroffen sind. Inzwischen sollen mehr als 600 westliche Unternehmen ihre Beziehungen zu Russland gekappt haben, vollständig oder vorübergehend.

Umsatzeinbußen und Reputationsrisiken

Das wird sich auch in den Bilanzen bemerkbar machen. So rechnet beispielsweise der Sportartikelhersteller Adidas mit einem Umsatzverlust von rund 250 Millionen Euro. Das Unternehmen aus Herzogenaurach hat seine Läden in Russland geschlossen, den Onlinehandel ausgesetzt und auch den Partnerschaftsvertrag mit dem russischen Fußballverband ausgesetzt. „Als Unternehmen verurteilen wir jede Form von Gewalt und zeigen uns solidarisch mit allen, die zum Frieden aufrufen“, sagte Vorstandschef Kasper Rorsted bei der Vorstellung der Bilanz 2021. Setzt man die 250 Millionen Euro ins Verhältnis zum Jahresumsatz 2021 (21,2 Milliarden Euro), so wirkt der Verlust verkraftbar. Tatsächlich rechnet Rorsted auch nicht mit Auswirkungen auf den prognostizierten Gewinn für 2022.

Größere Auswirkungen könnten Reputationsschäden haben, wenn Unternehmen in dieser Phase ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Dieses Risiko wollte die Züricher Versicherung gar nicht erst eingehen. Sie hatten einfach Pech mit ihrem Logo. Gegenüber der Nachrichtenagentur DPA bestätigte das Schweizer Unternehmen, vorübergehend auf den isolierten Buchstaben Z im Außenauftritt, speziell in den Social-Media-Kanälen zu verzichten, weil dieser missverstanden werden könnte. Tatsächlich hat sich das Z eigentlich nur ein Markierungszeichen auf den russischen Militärfahrzeugen zum Symbol dieses Kriegs entwickelt. Inzwischen wurde die alleinstehende Verwendung schon in den unterschiedlichsten Formen verboten, selbst bei einigen Zulassungsstellen werden keine Autokennzeichen mit einem einzelnen Z mehr ausgegeben. Die Brisanz hat man in Zürich erkannt und schnell gehandelt.

Öffentlicher Druck zwingt Unternehmen zur Haltung

Weitaus schwieriger stellt sich der Umgang mit der Haltung für Unternehmen dar, die sich nicht vollständig aus dem russischen Markt zurückziehen wollen. Das reicht von Restaktivitäten wie bei Siemens, die ihre Service- und Wartungsverträge auch weiterhin bedienen wollen, bis hin zu Unternehmen, die eigene Werke oder Handelsniederlassungen unterhalten und für ihre Beschäftigten weiterhin Verantwortung übernehmen wollen. Betroffen sind sowohl Mittelständler beispielsweise aus dem Maschinenbau, aber auch multinationale Konzerne wie Nestle. Der Lebensmittelkonzern ist sowohl in Russland als auch in der Ukraine aktiv und betreibt eigene Produktionsstandorte. Für diese wurde in der Ukraine kurz nach Kriegsbeginn ein Produktionsstopp verhängt, um die eigenen Mitarbeiter zu schützen. Rund 5.800 Ukrainer und Ukrainerinnen sind bei Nestle beschäftigt. Ein Teil von denen hat das Land inzwischen verlassen und nach neuesten Meldungen sollen auch Kündigungen der Belegschaft zunehmen. Vor allem, weil Nestle seine Geschäfte in Russland weiter betreibt. Zwar hatte das Unternehmen in Russland seine Werbemaßnahmen eingestellt und Investitionsvorhaben ausgesetzt, vielen Verbrauchern, NGOS und auch einzelnen Politikern war dies nicht genug. Nach zunehmend heftiger werdender Kritik will sich Nestle zukünftig nur noch auf Grundnahrungsmittel beschränken und alle anderen Produkte nicht mehr nach Russland liefern.

Die Wucht öffentlicher Empörung traf auch den mittelständischen Schokoladenhersteller Ritter Sport. Russland ist nach Deutschland der zweitwichtigste Absatzmarkt des Unternehmens. Der Verzicht könnte also zu deutlichen Umsatzeinbußen führen und hätte damit auch weitreichende Folgen für den hiesigen Firmenstandort. In einem offenen Brief erklärte sich das Unternehmen, blieb aber bei seiner Haltung. „Uns ist Verantwortungsbewusstsein wichtiger als Gewinn“, hieß es darin. Ritter Sport wolle weiterhin seine Verantwortung für die Mitarbeiter tragen und machte zudem auf die weiteren Auswirkungen in der Lieferkette aufmerksam. Am Ende würde sich der Umsatzeinbruch auch bei den Familien der Kakaobauern bemerkbar machen. Auf Werbung und weitere Investitionen verzichtet Ritter Sport aber dennoch und will die Gewinne aus dem Russland-Geschäft an Hilfsorganisationen spenden.

Kriegsverlauf verändert die erste Einschätzung

Mit ähnlichen Argumenten haben zahlreiche weitere Unternehmen ihren Verbleib in Russland begründet, beispielhaft seien hier der Baumaschinenhersteller Liebherr oder der Industriekonzern GEA genannt. Mit dem weiteren Verlauf des Krieges ändern sich allerdings auch die Einschätzungen in den Vorstandsetagen. So hat SAP weitere Schritte angekündigt, seine Geschäfte in Russland nun vollständig zu beenden, nachdem bislang Wartungsverträge noch weitergeführt wurden. Auch Henkel vollzieht nun den letzten Schritt und wird sich vollständig aus seinem Russlandgeschäft zurückziehen. In ersten Schritten waren bereits Investitionsvorhaben und Werbemaßnahmen gestoppt worden. Rund 2.500 Mitarbeiter beschäftigt der Konsumgüterhersteller aus Düsseldorf in Russland und sieht sich auch für diese in der Verantwortung. Aber der fortschreitende Krieg mit seinen unzähligen Kriegsverbrechen hat in Düsseldorf zu einem Umdenken geführt. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen haben wir entschieden, die Geschäfte in Russland aufzugeben“, teilt das Unternehmen mit. Man wolle sich nun in einem geordneten Prozess aus dem Land zurückziehen. Die Mitarbeiter vor Ort wären dabei eng eingebunden und würden auch weiter bezahlt.

Anders hat sich der Reifenhersteller Continental entschieden. Nachdem die Produktion zunächst eingestellt wurde, unter anderem aufgrund unterbrochener Lieferketten, hat man sie nun wieder aufgenommen und will dort zeitweise wieder produzieren. Gewinne wolle man damit aber nicht erzielen, ein Hinweis, den nahezu alle Unternehmen geben. Das Problem seien aber Konsequenzen für die leitenden Mitarbeiter vor Ort. Und auch die möglicherweise drohende Enteignung hält manche Unternehmen von einem Rückzug ab. Damit hat auch die Baumarktkette Obi gerechnet und ihre 27 Filialen in Russland zunächst geschlossen und inzwischen komplett an einen russischen Investor übertragen. Vorbehaltlich der behördlichen Genehmigungen ist das Kapitel Russland damit für Obi beendet. Bedingung für die Übertragung, für die kein Geld geflossen sein soll, ist, dass der Name zukünftig in Russland nicht mehr verwendet wird. Unternehmen wie Bayer oder die Metro verbleiben in Russland, weil sie es für ethisch vertretbar halten, etwa weil sie zur Grundversorgung der Bevölkerung beitragen.

Starke, schwache oder keine Reaktionen von Unternehmen

Kommerziell gebe es für Unternehmen in der derzeitigen Situation nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren, sagt Dr. Niklas Schaffmeister, geschäftsführender Gesellschafter der Managementberatung Globeone. „Marken sind wie Menschen auf der Grundlage von Werten positioniert. Sind diese Werte stark, kann man nicht einfach schweigen und weitermachen, wenn so etwas passiert wie aktuell in der Ukraine“, so Schaffmeister. Grundsätzlich sind nach seiner Einschätzung derzeit drei Reaktionsweisen von westlichen Unternehmen zu beobachten: Zum einen sehr starke Reaktionen, oft verbunden mit der langfristigen Aufgabe des Geschäfts. Zum anderen eher verhaltene Reaktionen, bei der es vor allem um ein vorläufiges Aussetzen von Aktivitäten gehe. „Diese Reaktionen erfolgen häufig unter dem Hinweis, die Situation weiter beobachten zu wollen oder begleitet von Spendenaktionen. Eine schnelle Rückkehr in den russischen Markt ist hier nicht ausgeschlossen“, so Schaffmeister. Und schließlich gebe es auch viele Unternehmen, die gar nicht oder allenfalls nur mit vagen Statements als Antwort auf den Druck der Öffentlichkeit reagierten. „Diese Reaktionsweise kann langfristig zu starker Kritik und zu Imageschäden führen, vor allem bei Unternehmen, die stark in der Öffentlichkeit exponiert sind“, meint Schaffmeister.

Hall of Shame listet Unternehmen auf

Einen genauen Überblick über das Verhalten von Unternehmen liefert die Auflistung von Jeffrey Sonnenfeld, Wirtschaftsprofessor an der US-Universität Yale. Mehr als 1.000 Unternehmen führt seine Liste inzwischen auf, die hierzulande auch als Hall of Shame bezeichnet wird. Die Liste wird ständig aktualisiert und verfeinert. Anfangs gab es nur die Unterscheidung zwischen „Raus“ oder „Bleiben“, inzwischen werden die Unternehmen einer von fünf Kategorien zugeordnet, von A für Unternehmen die sich komplett aus Russland zurückziehen bis zu F für Unternehmen die unbeirrt weitermachen. „Eine solche Liste erzeugt extremen Druck mit großer Wirkung. Sie ist ein Ranking von moralisch falschem Verhalten“, sagt Martin Kornberger, Professor für Wirtschaftsethik an der Wirtschaftsuniversität Wien, gegenüber der österreichischen Wirtschaftszeitung Der Standard. „Der Imageschaden für Unternehmen, die noch in Russland seien, sei jetzt schon enorm groß.“

Das könnte sich zukünftig auch bei den Kaufentscheidungen der Konsumenten bemerkbar machen. Nach einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom würden deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher genau hinsehen, wie sich Unternehmen derzeit positionieren. Immerhin 77 Prozent wollen in Zukunft davon ihre Kaufentscheidung abhängig machen. „Wer sich nicht klar an die Seite der Ukraine stellt, läuft Gefahr, das Vertrauen deutscher Kundinnen und Kunden zu verspielen und riskiert Einbußen“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.

Konsumenten verlangen Rückzug aus Russland

Diese Ergebnisse zeigen sich auch in einer Studie der Agentur WeberShandwick, die in sechs Ländern durchgeführt wurde. Mit Deutschland, USA, Großbritannien, Japan, Kanada und Frankreich sind zwar nur Länder des westlichen Wertesystems vertreten, die sind sich in den grundlegenden Punkten aber einig. So ist der Krieg in der Ukraine in allen genannten Ländern mit Ausnahme der USA das derzeit wichtigste Thema. Ein großer Teil aller Befragten (72 %) erwartet von Unternehmen eine klare Position, wenn die Demokratie gefährdet ist. Insgesamt werden vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine hohe Erwartungen an Unternehmen gestellt. So sollten sie für viele Befragte eine gewichtige Rolle spielen, um diesen Krieg zu beenden. An dieser Stelle wird die Verantwortung zwar überwiegend bei internationalen Organisationen wie der Nato oder der UN und den nationalen Regierungen gesehen, aber in Deutschland wird der Wirtschaft eine bedeutende Rolle zugeschrieben.

Im internationalen Vergleich zeichnet sich bei dieser Frage eine Sonderrolle Deutschlands ab. So sollten die Befragten eine Rangfolge festlegen, wer die Führung zur Beendigung des Krieges übernehmen sollte. Deutschland sieht auf dem 2. und 3. Platz die Wirtschaft/Industrie und Finanzwirtschaft. Erst an vierter Stelle wird die Regierung genannt. In allen anderen Ländern der Untersuchung werden diese erst auf den Plätzen 3 und 4 genannt, nach der eigenen Regierung. Das zeigt die Schwierigkeit, in der sich Unternehmen befinden, wenn sie sich nicht klar positionieren.

Auch an den eigenen Arbeitgeber werden diese Erwartungen gestellt, von denen allerdings nur rund ein Drittel diese Erwartung auch erfüllt. Diese wiederum haben als häufigste Maßnahme den Krieg verurteilt und/oder an Hilfsorganisationen gespendet. Die Erwartungshaltung der Belegschaften sieht ganz ähnlich aus. So werden die Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Versorgungssicherheit der Menschen in der Ukraine als wichtigste Punkte genannt. Offizielle Statements, die Verantwortung gegenüber Mitarbeitern in Russland und die Neubewertung des Russlandgeschäfts rangieren dahinter, werden aber dennoch von einer Mehrheit erwartet.

Sanktionen zeigen Wirkung

Was bedeutet nun verantwortliche Unternehmensführung in der aktuellen Situation? Von den ESG-Kriterien ist in diesem Fall besonders die Governance gefordert. Die Unternehmen sind zwischen Haltung und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung hin- und hergerissen. „Unternehmen, die ihre russischen Betriebe einstellen, haben immer noch eine Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern – und respektieren ihre Rechte, sagte Anita Ramasastry, Mitglied der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte, dem Magazin Politico. Unternehmen würden diese Entscheidungen oft zu schnell treffen, ohne ausreichend über die Konsequenzen und die dadurch verursachten Schäden nachzudenken. Unternehmen die für einen Verbleib in Russland argumentieren, weil ihr Rückzug vor allem die unschuldige Bevölkerung treffen würde, werden zunehmend als nicht glaubwürdig betrachtet.

Neben diesen Aspekten steht immer auch noch die Frage im Raum, was kann der Rückzug aus dem russischen Markt für diesen Krieg bewirken? Dass diese Frage nicht leicht zu beantworten ist, liegt auf der Hand. Inzwischen machen sich die Sanktionen und der Rückzug von Unternehmen in Russland aber bemerkbar. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin rechnet mit dem Verlust von mehr als 200.000 Arbeitsplätzen. Und auch Russlands Notenbank-Chefin Elvira Nabiullina sieht zunehmende Auswirkungen auf die reale Wirtschaft, nachdem in den ersten Wochen vor allem der Finanzmarkt betroffen war. Jetzt fordert sie eine Neuaufstellung der russischen Wirtschaft, schließlich könne man nicht dauerhaft von den Finanzreserven leben.

Wirtschaftsethiker mit unterschiedlichen Positionen

Das könnte für einen Rückzug aus dem russischen Markt sprechen und dem gerne verwendete Argument der Wirkungslosigkeit von Sanktionen widersprechen. Für Jeffrey Sonnenfeld ist auch völlig klar, wie sich Unternehmen entscheiden sollten. Nach seiner Auffassung sollten Verbraucher und Verbraucherinnen die Unternehmen boykottieren, die ihre Geschäfte mit Russland nicht beenden. Doch trotz klarer Positionierung bleiben Fragen offen, schließlich gibt es auch in anderen Gegenden dieser Welt kriegerische Auseinandersetzung, Menschrechtsverletzungen und Unterdrückung. Antworten könnte die Wirtschaftsethik liefern, doch auch unter deren Vertretern herrscht keine Einigkeit. Für den St. Gallener Wirtschaftsethiker Prof. Thomas Beschorner ist die Sache klar. In der Zeit schrieb er zusammen mit Kollegen: „Unternehmen sind jetzt gefordert, ihre Bedeutung als gesellschaftspolitische Akteure in stärkerem Maße zu reflektieren und als Corporate Citizen auch handlungspraktisch einzulösen.“ Unternehmen dürften sich jetzt nicht wegducken, sondern seien zum Handeln verpflichtet, denn „wir haben es in diesem Krieg mit nicht irgendeiner zwielichtigen normativen Position zu tun, die offenlässt, was das richtige Handeln ist.“ Es sei für Unternehmen ethisch geboten, ihre Macht für ein Ende des Krieges einzusetzen. „Es geht nicht nur um ein erweitertes Kosten-Nutzen-Denken und um die Sorge der Reputation. Es ist die Verantwortung und die moralische Pflicht von Unternehmen, durch ihr Handeln friedensstiftend zu wirken“, so Beschorner und Kollegen.

Dem widerspricht der Wirtschaftsethiker Prof. Ingo Pies nicht grundsätzlich, mahnt aber zur Zurückhaltung. In einem Aufsatz für das Forum Wirtschaftsethik schreibt er: „Selbst wenn man extrem harte Wirtschaftssanktionen für geeignet hält, das ausgewiesene Ziel zu erreichen, folgt daraus keineswegs, dass man die für nötig gehaltene Eskalation der Wirtschaftssanktionen den Unternehmen als eine Aufgabe zuweist, die sie auf freiwilliger Basis zu erfüllen haben. Wer die Eskalierung von Boykott und Embargo für nötig hält, sollte sie per Gesetz vorschreiben. Alles andere ist nicht marktkonform und fordert die Unternehmen nicht, sondern überfordert sie.“ Auch der Wirtschaftsethiker des Instituts der Deutschen Wirtschaft Prof. Dominik Ernste, rät im Deutschlandfunk, Unternehmen sollten kühl abwägen und nicht zu vorschnelle moralische Entscheidungen treffen. Allerdings, so Ernste: „Unternehmen, die in keiner Weise auf den Krieg gegen die Ukraine reagiert haben, kann man aus wirtschaftsethischer Perspektive nur raten, zumindest sorgfältig zu prüfen, ob das nicht mit einem erheblichen Reputationsschaden am Ende einhergehen kann.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf csr-reporter.de.

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Zeitarbeit – eine Branche zwischen Mindestlohn und New Work

Zeitarbeit – eine Branche zwischen Mindestlohn und New Work

Mittwoch, der 17. Juni 2020 war ein Tag, an den man sich nicht nur in Rheda-Wiedenbrück noch lange erinnern wird und der erneute Auslöser für eine Debatte um bestimmte Formen ausbeuterischer Arbeit war. In einem Schlachthof der Firma Tönnies wurde der bis dahin europaweit größte Ausbruch von Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus festgestellt. Bei vier von fünf getesteten Mitarbeitern war der Befund positiv. Der Schlachthof musste sofort seine Arbeit einstellen und die gesamte Belegschaft testen lassen. Am Ende hatten sich 1413 Menschen mit dem Covid-19-Virus infiziert und wurden in Quarantäne geschickt. Auslöser für diesen Corona-Hotspot war die Umluft-Kühlanlage, die für eine ungehinderte Verbreitung der Viren sorgte. In den kommenden Wochen und Monaten traten immer neue Fälle in Schlachthöfen auf, nicht nur bei Tönnis in Rheda-Wiedenbrück, sondern in ganz Europa. Schlachthöfe so umzubauen, dass sie kein Ort ungehinderter Ausbreitung von Krankheitserregern sind, war eine der ersten Aufgaben, denen sich Betreiber und Politik stellen mussten. Doch die eigentlichen Herausforderungen lagen woanders. 

Ausbeuterische Formen der Beschäftigung sind in vielen Bereichen zu finden

Die Vorfälle in den Schlachthöfen haben ein Schlaglicht auf Beschäftigungsformen geworfen, die in Europa weit verbreitet sind und die zudem für unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Zusammenleben von großer Bedeutung sind. Schlachthöfe sind nur ein Beispiel für ausbeuterische Formen der Arbeit, die auch in anderen Bereichen der Landwirtschaft zu finden ist und überall dort, wo wichtige Arbeit gemacht wird, aber nur geringe Löhne gezahlt werden. Die Vorfälle haben zudem gezeigt, wie eng Wertschöpfungsketten getaktet sind und Störungen weitreichende Folgen haben. Ein Schlachthof, der nicht mehr arbeiten kann, löst einen Rückstau in den landwirtschaftlichen Betrieben aus und führt schlussendlich zu leeren Regalen in den Supermärkten. Damit dieses System funktioniert und am Ende beispielsweise billiges Fleisch auf dem Teller landet, muss es viele Verlierer geben, teilweise in der direkten Nachbarschaft, aber teilweise auch in anderen Gegenden der Welt. 

Wirklich überraschend waren diese Ereignisse nicht. Schon lange sind problematische Beschäftigungsformen in zahlreichen Wirtschaftszweigen bekannt. Aber frei nach Bertholds Brechts Zitat aus der Dreigroschenoper „…die im Dunkeln sieht man nicht“, fehlte der politische Wille daran etwas zu ändern. Ausbeutbare Arbeitsbedingungen, überfüllte Unterkünfte, Arbeitstage, die bis zu 16 Stunden dauern und dennoch nur zu niedrigen Löhnen führen und durch illegale Lohnabzüge noch weiter reduziert werden, sind nur einige Ungerechtigkeiten, die der Europäischer Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT) in einem Bericht (Covid-19 outbreaks in slaughterhouses and meat processing plants) über fleischverarbeitende Betriebe in Europa aufführt. Hinzu kommen eine Perspektivlosigkeit und andauernde Arbeitsplatzunsicherheit. „Die Covid-19-Pandemie hat einem breiteren Publikum Probleme aufgedeckt, die EFFAT und seine Mitgliedsorganisationen seit vielen Jahren an die EU-Institutionen und die nationalen Regierungen richten“, sagte EFFAT-Generalsekretär Kristjan Bragason und hoffte, dass die Politik nun gewillt sei, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen und unter anderem Mindestlöhne sicherstellt sowie Tarifverträge ermöglicht. Vor allem das in Deutschland nahezu perfekt organisiertes System mit Subunternehmen sei für die prekären Verhältnisse verantwortlich, und zwar über die Landesgrenzen hinaus. Bis zu 90 Prozent der Belegschaften in den fleischverarbeitenden Betrieben sind demnach nicht Angestellte des Unternehmens, sondern gehören zu einem der Subunternehmen. 

Ausbeutung Made in Germany – Aber es geht auch anders

In den vergangenen Jahren hat die Politik immer wieder versucht, den Schlupflöchern der Branche zu begegnen und das Geschäft mit der Ausbeutung zu erschweren. Dazu wurde beispielsweise die Fleischindustrie in das Entsendegesetz aufgenommen, damit die Arbeiter nach den hiesigen Standards inklusive Mindestlohn beschäftigt werden mussten und nicht mehr die Bedingungen ihres Heimatlands galten. Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Branche sollte zudem dafür sorgen, Beschäftigte nur noch nach deutschem Arbeitsrecht zu beschäftigen. 2017 sorgte das Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft für eine weitere Verschärfung und enthielt unter anderem das Verbot, die Kosten für Arbeitsmittel vom Lohn abzuziehen, mit denen die Betriebe bis dato versuchten, den Mindestlohn zu umgehen. Gebracht haben diese Maßnahmen wenig, unter anderem, weil sie schwer zu kontrollieren sind und Verantwortlichkeiten durch aneinandergereihte Subunternehmen kaum auszumachen sind. Dieses Modell „Made in Germany“ wird inzwischen europaweit kopiert und hat dadurch die Bedingungen für die Beschäftigten noch mal verschärft. 

Dass es auch anders geht, zeigen beispielsweise die nordischen Länder Dänemark und Schweden, in denen die Arbeiter in der Fleischindustrie bis zu 27 Euro in der Stunde verdienen können, egal aus welchem Land sie kommen. Die Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften regeln zudem eine ordentliche Unterbringung und die Regierung sorgt für eine vollumfängliche soziale Absicherung. In Summe sind die Arbeitskosten in Dänemark mit rund 69.000 Euro fast doppelt so hoch wie in Deutschland mit weniger als 32.000 Euro. Damit hat sich Deutschland seine Rolle als bedeutender Fleischexporteur erkauft und neben Arbeitnehmerrechten auch noch den Tierschutz verkauft.

Vielleicht ist Skandinavien ein Vorbild für die deutsche Politik. Auf jeden Fall hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil unmittelbar nach den Vorfällen in Rheda-Wiedenbrück angekündigt, nun endgültig in der Branche aufräumen zu wollen. Inzwischen hat der Bundestag das Arbeitsschutzkontrollgesetz verabschiedet und darin unter anderem ab dem 1. April 2021 den Einsatz von Leiharbeitern in der Fleischindustrie grundsätzlich verboten. Allerdings gilt in den ersten drei Jahren eine Ausnahme, um eventuelle Auftragsspitzen abfedern zu können. Dafür kann in einem Tarifvertrag der Einsatz von Leiharbeitern festgelegt werden, für die dann vom ersten Tag an der gleiche Lohn wie für die Stammbelegschaft gezahlt wird und deren Einsatz vier Monate nicht überschreiten darf. Zudem dürfen im Jahresmittel nicht mehr als acht Prozent der Belegschaft aus Leiharbeitern bestehen. Davon ausgenommen sind handwerkliche Betriebe, die nicht mehr als 49 Mitarbeiter beschäftigen. 

Imageschaden mit weitreichenden Konsequenzen

Die Vorfälle rund um die fleischverarbeitende Industrie bringt eine ganze Branche in Misskredit, die seit einigen Jahren versucht, Verantwortung zu thematisieren, die Fehlentwicklungen, die nicht zuletzt auch durch politische Entscheidungen entstehen, zu beseitigen und insgesamt die Rolle als „ganz normales Unternehmen“ zu vermitteln. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren im Jahr 2020 durchschnittlich 781.000 Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hinzu kommen noch etwa 108.000 geringfügig Beschäftigte. Damit sind rund 2,2 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland in der Zeitarbeitsbranche tätig, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. 

Um die Herausforderungen der Branche zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Tätigkeitsfelder und Qualifikationen der Mitarbeiter. Mit einem Anteil von 38 Prozent werden Zeitarbeitskräfte immer noch zu einem großen Teil in der Produktion eingesetzt, auch wenn dieser Bereich seit vielen Jahren rückläufig ist. Und zwar zugunsten des Dienstleistungssektors, in dem rund 34 Prozent der Kräfte eingesetzt werden. Mit 15 Prozent rangieren die sogenannten personenbezogenen Dienstleistungen, zu denen beispielsweise die Pflegeberufe zählen, auf dem dritten Platz. Deutlich abgeschlagen sind Zeitarbeitsverhältnisse im kaufmännischen Bereich und in der Informationstechnologie. Diese Verteilung korrespondiert in umgekehrter Reihenfolge mit der Qualifikation, denn der Anteil an Experten mit einem akademischen Abschluss bildet bislang die kleinste Gruppe der Zeitarbeiter. 

Doch das könnte sich in Zukunft ändern, denn die fortschreitende Digitalisierung verändert Arbeitsprozesse und damit die Anforderungen an qualifiziertes Personal. Zwar ist die klassische Arbeitnehmerüberlassung eines der wichtigsten Geschäftsfelder und wird es erst mal bleiben, insbesondere in der Logistik und im Gesundheitswesen. Neue Geschäftsbereiche wie etwa Interimsmanagement, Projektgeschäfte und Personalvermittlung werden aber eine immer größere Rolle für die etablierten Zeitarbeitsunternehmen spielen, wie eine aktuelle Lündendonk-Umfrage zeigt. Der Bedarf nach flexibel einsetzbarem Personal ist hoch und setzt damit Impulse für neue Geschäftsmodelle. Dabei kommen die Unternehmen durchaus zu kreativen Lösungen, denn inzwischen ist selbst der temporäre Einsatz von Kollege Roboter im Rahmen der Zeitarbeit möglich. 

Arbeitgeberattraktivität wird zum wettbewerbsentscheidenden Kriterium

Für die Zeitarbeitsbranche bedeuten die Trends am Arbeitsmarkt große Herausforderungen. Sie müssen auch in Zukunft marktgerechte Dienstleistungen anbieten können, um dem Bedarf der Wirtschaft nach Zeitarbeitskräften Lösungen anbieten zu können. Sie befinden sich aber ebenso im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter, die ihrerseits hohe Ansprüche an ihren zukünftigen Arbeitgeber stellen. Arbeitgeberattraktivität wird damit auch für Zeitarbeitsunternehmen zum wettbewerbsentscheidenden Kriterium. Entsprechend versuchen die großen Anbieter wie Randstadt, Adecco oder Manpower über eine CSR-Strategie ihre Attraktivität zu erhalten bzw. zu steigern. In ihren Nachhaltigkeitsberichten haben die Unternehmen folglich auch Themen, wie Qualifizierung, Diversität, Inklusion und Vereinbarkeit als wesentliche Handlungsfelder bestimmt, Themen wie sie auch im Ethik-Kodex des Branchenverbandes iGZ formuliert sind. 

Dass die Branche auch einen relevanten gesellschaftlichen Beitrag leisten kann, hat sich bei der Integration Geflüchteter gezeigt. Oft war die Zeitarbeit der Einstieg in eine Beschäftigungsmöglichkeit und der Anfang einer beruflichen Integration durch Qualifikation und gleichberechtigter Teilhabe. Das Unternehmen Social Bee hat daraus sogar ein gemeinnütziges Zeitarbeit-Modell entwickelt und sich ganz auf die Integration spezialisiert. Es könnte eine Blaupause für andere Unternehmen sein, denn was das Münchner Startup leistet, geht weit über die eigentliche Arbeitnehmerüberlassung hinaus. Social Bee versucht den Unternehmenskunden die Integrationsleistung weitgehend abzunehmen und ihnen motivierte und qualifizierte Kandidaten vorzustellen. Dadurch werden in den Unternehmen Einstiegshindernisse abgebaut und den Geflüchteten neue Türen geöffnet. Im Idealfall finden beide Parteien auch für ein längeres Engagement zusammen. Das klappt tatsächlich in über 80 Prozent der Fälle.

Doch oft werden die positiven Aspekte der Zeitarbeit von den negativen Auswüchsen überschattet und beschädigen damit nicht nur das Image der Branche, sondern erschweren auch deren Anpassung an zukünftige Herausforderungen. Equal Payment und die Höchstüberlassungsdauer sind zwei Aspekte, die immer wieder im Fokus politischer Regulierung stehen. Sie helfen geringer qualifizierten Zeitarbeitern, blockieren aber oftmals die Möglichkeiten, Zeitarbeit für höher qualifizierte Beschäftigte interessant zu machen. So steht die Branche auch in den kommenden Jahren vor ihrer größten Aufgabe und muss ganzheitliche Geschäftsmodelle entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten Rechnung tragen, gleichzeitig, aber wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends aufnehmen. 

Dieser Text erschien zuerst im CSR-Magazin und auf csr-news.

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Silos einreißen – Nachhaltigkeit im Produktmarketing

Silos einreißen – Nachhaltigkeit im Produktmarketing

Don’t Buy This Jacket! Als im November 2011 eine großformatige Anzeige in der New York Times davon abriet das beworbene Produkt zu kaufen, war dem Urheber, das kalifornische Unternehmen Patagonia, die Aufmerksamkeit gewiss. Marketing-Experten sprachen von brillant oder einem genialen Schachzug. Denn der Outdoor-Ausrüster Patagonia setzte nicht nur auf Effekthascherei, sondern lieferte die Begründung gleich mit. Trotz aller Bemühungen, heißt es in der Anzeige, sei die Umweltbelastung jedes Produktes erheblich. Allein für die Herstellung der abgebildeten Jacke würden 135 Liter Wasser benötigt und es würden fast 9 Kilogramm CO2 verursacht. Außerdem würde der produzierte Abfall rund zwei Drittel des Gewichts der Jacke entsprechen, obwohl sie nach höchsten Qualitätsnormen aus 60 Prozent Recycling gefertigt sei. „Doch wie bei allen Dingen, die wir herstellen und die Sie kaufen, ist der Preis für die Umwelt höher als der Ladenpreis“, lautete der Schlusssatz der Anzeige.

Selten wird der eigene Nachhaltigkeitsanspruch eines Unternehmens so konsequent vom Marketing aufgegriffen und umgesetzt – und das mit Erfolg. Denn trotz der offensichtlichen Konsumkritik, war die Aktion erfolgreich und führte zu steigenden Umsätzen. Dabei meint es Patagonia ernst. Die erklärte Absicht ist es, dass die Kunden Ihre Produkte so lange wie möglich nutzen sollen. In einer Zeit, in der Textilien zu Wegwerfartikeln werden, mutet der Anspruch fast archaisch an. Doch Patagonia hat diesen Anspruch längst zum Geschäftsprinzip erhoben und mit dem „Worn Wear Programm“ alltagstauglich gemacht. Im amerikanischen Reparaturwerk des Unternehmens werden jedes Jahr mehr als 45.000 Kleidungsstücke wieder repariert. Zudem wurden weltweit Reparaturstationen aufgebaut, wo die Kunden die Lebensdauer ihrer Jacken und Hosen verlängern lassen können. Reparieren sei ein fundamentaler Akt, betont Patagonia-CEO Rose Marcario immer wieder. In diesem Jahr wurde das Unternehmen, während des Weltwirtschaftsforums in Davos, dafür mit dem „Accenture Strategy Award for Circular Economy Multinational“ ausgezeichnet. Dabei sei man noch ganz am Anfang, hätte gerade erst die Oberfläche der Möglichkeiten eines Kreislaufmodells angekratzt, sagte Ryan Gellert, Europa-Chef von Patagonia bei der Auszeichnung.

Fehlende Transparenz

Patagonia ist mit diesem Konzept erfolgreich, hat sich bei den Konsumenten ein Vertrauen als nachhaltige Marke aufgebaut. Doch ist tatsächlich begründet, was auf den ersten Blick scheint? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die niederländische Organisation „rank a brand“. Sie schauen was hinter den Nachhaltigkeitsversprechen bekannter Marken steckt. Patagonia wird von ihnen mit einem C (Stand 2015) bewertet, also einer mäßigen Bewertung, allerdings gleichauf mit vielen weiteren Outdoor-Marken. Die Gründe liegen nicht im mangelhaften Nachhaltigkeitsengagement, sondern vielmehr in der teilweise fehlenden Transparenz, beispielsweise zur Klimabilanz.

Nachhaltigkeit ist für Marketingabteilungen wieder attraktiv

In deutlichen Worten auf die Schwachstellen des eigenen wirtschaftlichen Handelns hinweisen, käme sicher nur wenigen Markenherstellern in den Sinn. Doch es ist genau dieses Spannungsfeld, in dem sich Nachhaltigkeitsmarketing bewegt. Nachhaltigkeitsmarketing wird immer auch als eine Art Fortsetzung oder Weiterentwicklung des Ökomarketings verstanden, so wie es in den 1990er-Jahren verbreitet war. Öko ohne Inhalt, Schein statt Sein, kennzeichnen diese Phase. Und es fehlte noch ein breites, kaufbeeinflussendes Bewusstsein der Konsumenten. So verloren Marketingabteilungen das Interesse an Nachhaltigkeit und widmeten sich vielversprechenderen Themen. Nachhaltigkeit wurde eher zum Thema der Unternehmenskommunikation. Doch das ändert sich gerade: „Nachhaltigkeit ist heute, nach längerer Durststrecke, für die Marketingabteilungen wieder attraktiv“, sagt Norbert Taubken, Business Direktor bei Scholz&Friends Reputation in Berlin. Nicht zuletzt, weil immer mehr Verbraucher fair und ökologisch hergestellte Produkte bervorzugen. Taubken hat mit seinem Team einen „Nachhaltigkeitssensor“ entwickelt, mit dem Marketingabteilungen Stärken und Schwächen ihrer Produktmarken identifizieren können. Ziel ist ein Produktmarketing mit glaubwürdigen Nachhaltigkeitsbotschaften.

Markenversprechen müssen überprüfbar sein

Genau an dieser Stelle liegt der Schlüssel für erfolgreiches Nachhaltigkeitsmarketing. Das zeigen auch die Ergebnisse des jährlich, von der Agentur Serviceplan, veröffentlichten „Sustainablity Image Score (SIS)“. Mit dem SIS wird sichtbar, wie sich Nachhaltigkeit auf das Image von Unternehmen auswirkt und mit welcher Kaufbereitschaft die Konsumenten dem folgen. Dabei werden alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit betrachtet, vom verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, über faire Geschäftspraktiken bis zur wahrgenommenen gesellschaftlichen Verantwortung. Die letzte Untersuchung aus dem Jahr 2016 bestätigt die zunehmende Verbindung von Produkt und Nachhaltigkeitsimage. Die Konsumenten urteilen sensibler. Markenversprechen und eigene Wahrnehmung müssen übereinstimmen. Authentizität wird zum beherrschenden Thema im Nachhaltigkeitsmarketing, zumal, so ein Ergebnis, Nachhaltigkeit zunehmend dem Produkt zugeordnet wird. „Erkennbar ist womöglich eine erste Tendenz, dass einige Nachhaltigkeitsaspekte nicht mehr separat bewertet werden, sondern der Produktqualität zugerechnet werden“, heißt es im 2016-er SIS-Ranking. Das Problem dabei: Erfolgreiche Nachhaltigkeitsbemühungen werden von den Konsumenten zwar goutiert, Verfehlungen aber umso gravierender bestraft. Die Kunden würden genau beobachten, welche Haltungen ein Unternehmen vertritt und wie es diese kommuniziert. Bedeutet: An erster Stelle steht ein konsequentes Nachhaltigkeitsengagement und erst an zweiter Stelle die Kommunikation darüber. Patagonia hat im 2016er-SIS-Ranking übrigens den vierten Platz belegt.

Nachhaltigkeitsbotschaften mit Fakten belegen

Eine der Grundweisheiten im Produktmarketing fordert ein klares Markenprofil. Nur so kann die Markenbotschaft beim Kunden ankommen. Doch das ist leichter gesagt als getan, insbesondere wenn die Markenbotschaft Nachhaltigkeitsaspekte enthält. „Nachhaltigkeitseigenschaften werden oft ohne inhaltliche Fundierung eingesetzt“, sagt Norbert Taubken. Das birgt Risiken, denn wahllose Botschaften, abgegriffene Claims oder beliebige Siegel zahlen nicht auf eine Marke ein, können, im Gegenteil, sogar deren Glaubwürdigkeit beschädigen. Vor allem wenn die Botschaft keiner Überprüfung standhält. Denn es sind nicht nur kritische Verbraucher, die Nachhaltigkeitsbotschaften in Frage stellen. Vor allem NGOs schauen genau hin und scheuen auch vor öffentlichkeitswirksamen Kampagnen nicht zurück. Zahlreiche Unternehmen mussten diese Erfahrung schon machen. Verhindern lässt sich das nur, wenn Nachhaltigkeitsbotschaften mit Fakten belegbar sind, ist Norbert Taubken überzeugt. Deshalb rät er Unternehmen auch auf Kritik vorbereitet zu sein.

Für manche Marketingabteilung eine Herausforderung, bedeutet es doch, ein Verständnis für die besonderen Anforderungen der Nachhaltigkeitskommunikation zu entwickeln. Die findet auf zwei Ebenen statt, mit unterschiedlichen Adressaten. „Marktorientierte Kommunikation richtet sich an Verbraucher“, so Taubken. „Sie muss notwendigerweise das komplexe Thema Nachhaltigkeit abstrahieren und vereinfachen, darf aber nicht verfälschen.“ Im Gegensatz dazu die Corporate Communication, die sich an Meinungsbildner richtet – Medien, Investoren, NGOs, Politik und Verbände. Taubken: „Auf dieser Ebene müssen Unternehmen zwingend Transparenz zeigen und differenzieren.“ Zwei Aspekte die in der marktorientierten Produktkommunikation kaum geleistet werden können. Dieser Spagat ist die neue Aufgabe für das Nachhaltigkeitsmarketing, denn beide Kommunikationsformen bedingen einander. Taubken: „Ich kann nur davor warnen, irgendeinen Nachhaltigkeitsaspekt herauszugreifen und für das Marketing zu verwenden.“ Es reicht heute nicht mehr aus, einem Produkt einen „grünen Aufkleber“ anzuheften.

Stärken und Schwächen der einzelnen Produkte kennen

An dieser Stelle setzt der Nachhaltigkeitssensor an. Er soll helfen, die Produkte zu identifizieren, die sich für ein nachhaltigkeitsorientiertes Produktmarketing eignen. „Die beste Nachhaltigkeitsaussage lässt sich aus einem Produkt ableiten“, so Taubken. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, Stärken und Schwächen der einzelnen Produkte zu kennen. Nur wenn sich die Nachhaltigkeitsperformance belegen lässt, also auch kritischen Nachfragen standhält, ist ein Produkt für das Nachhaltigkeitsmarketing geeignet. Weist die Performance vereinzelt Schwächen auf, die kurzfristig verbessert werden können, kommt ein Produkt als Aspirant in Frage. Ist eine Nachbesserung in kurzer Zeit nicht möglich, sollten Unternehmen diese Produkte nicht für das Nachhaltigkeitsmarketing auswählen. „Die entscheidende Währung ist die Glaubwürdigkeit“, so Taubken. Für Experten bedeutet das vor allem Transparenz, bei Kunden entsteht Glaubwürdigkeit dagegen durch Kontinuität. Taubken nennt das intuitive Glaubwürdigkeit. Produktbotschaft und die eigene Wahrnehmung müssen im Einklang sein – genau der Aspekt der durch den SIS bestätigt wird.

Möglichst tief in die Wertschöpfungskette blicken

Damit das gelingen kann, muss die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts auf den Prüfstand. „Es reicht nicht einzelne Aspekte zu betrachten“, so Taubken. „Denn nur wenn alle Aspekte berücksichtigt sind, kann ein Produkt eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsbotschaft vermitteln.“ Unternehmen sollten also möglichst tief in die Wertschöpfungskette blicken. Woher stammen die Rohstoffe? Nach welchen Standards arbeiten meine Zulieferer? Welche Klimabelastung wird durch die Logistik verursacht? Lassen sich diese Punkte beantworten und belegen, können sie auch kritischen Nachfragen standhalten. Der Nachhaltigkeitssensor hält Marketingabteilunge dazu an, das Thema Nachhaltigkeit in der ganzen Breite zu erfassen. Taubken: „Dabei wird man schnell feststellen, an welchen Stellen ein Unternehmen bereits gute Resultate vorweisen kann und wo man sich noch ‚auf dem Weg‘ befindet.“

Diese Punkte, die vereinbarten Ziele und Maßnahmen lassen sich auf der Unternehmensebene auch kommunizieren, um die Informationsbedürfnisse der Experten zu erfüllen. Auf der Ebene der verbraucherorientierten Produktkommunikation gelingt dies nicht. Taubken: „Dafür muss genau selektiert werden, an welcher Stelle man welche Form von belegbaren Aussagen treffen kann“. Der Nachweis, beispielsweise für interessierte Kunden, findet dann auf einer zweiten Kommunikationsebene statt.

Das Nachhaltigkeitsmarketing muss also mindestens drei Kommunikationsebenen bedienen. Gegenüber Experten braucht es Detailinformationen, etwa in Form eines Nachhaltigkeitsberichts, für interessierte Konsumenten die allgemeinverständliche Aufarbeitung des Komplexen. In der direkten Produktkommunikation ist dann Einfachheit – allerdings ohne Belanglosigkeit – von zentraler Bedeutung.

Doch wie reduziert man ein komplexes Thema, wie es Nachhaltigkeit zweifelslos ist, ohne dabei in stereotype Produktbotschaften wie grün, fair, regional oder ähnliches zu verfallen. „Versuchen sie in Aktivierung zu denken“, rät Norbert Taubken. Wenn es gelingt, Kunden mit auf den Weg zu nehmen, um beispielsweise gemeinsam einen Beitrag für die Reduzierung des CO2-Ausstosses zu leisten, sei dies ein großer und wirksamer Hebel für erfolgreiches Nachhaltigkeitsmarketing. „Die Frage ist also, mit welchen Themen man seine Kunden erreichen, vielleicht begeistern und zum Mitmachen bewegen kann.“

Aus bitterer Erfahrung gelernt

Schon seit langer Zeit geht die Brauerei Krombacher diesen Weg und hat damit die ganze Bandbreite möglicher Erfahrungen gesammelt. 2002 mit dem Regenwaldprojekt ging man noch baden. „Saufen für den Regenwald“ wurde innerhalb kurzer Zeit zum unfreiwilligen Claim und damit verbunden der Vorwurf des Greenwashing. Selbst die Werbeaussage „Ein Kasten Bier für einen Quadratmeter Regenwald“ bestand die Prüfung vor dem Oberlandesgericht Hamm nicht. Und auch die üppigen Honorare für Testimonial Günther Jauch befeuerten den Greenwashing-Vorwurf. Tatsächlich hatte Krombacher den Vorwürfen anfangs wenig entgegenzusetzen – doch im beschaulichen Kreuztal hat man schnell dazugelernt.

Inzwischen hat Krombacher seine Hausaufgaben gemacht und veröffentlicht regelmäßig einen Nachhaltigkeitsbericht. Dem Regenwaldprojekt folgte 2011 das Klimaschutzprojekt mit etwas anderer Ausrichtung. Zwar kooperiert man wieder mit dem WWF, verzichtet aber auf die Koppelung mit dem Abverkauf der Getränke. Die kam beim inzwischen dritten Projekt wieder zum Einsatz. Ein Kasten Bier für einen Quadratmeter Heimat hieß die Losung für den viermonatigen Aktionszeitraum des Artenschutzprojekts. Gemeinsam mit WWF, Deutscher Umwelthilfe und NABU sollte der heimische Artenschutz unterstützt werden. Unabhängig vom Verkauf mit mindestens 1,5 Millionen Euro – tatsächliche kamen mehr als 1,8 Millionen Euro zusammen. Krombacher ist es gelungen, die Marke mit Nachhaltigkeitsaspekten aufzuladen und selbst Kritiker zu besänftigen. Immerhin leistet die aus dem Regenwaldprojekt hervorgegangene Stiftung (3,7 Millionen Euro Stiftungskapital) bis heute aktive Naturschutzarbeit in Afrika.

Während sich viele Unternehmen nach den bitteren Erfahrungen vermutlich lautlos aus dem Projekt zurückgezogen hätten, setzte Krombacher auf das Gegenteil und machte sich „auf den Weg“. Heute kann man entscheidende Fortschritte in der eigenen Wertschöpfungskette vorweisen. Sicher ist Krombacher immer noch kein Nachhaltigkeitspionier, aber innerhalb der Branche längst zum Vorreiter geworden. Das goutieren Verbraucher ebenso wie Kritiker.

Eine solche Kehrtwende im Denken und Handeln erfordert das Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure. Hier liegt eine Zukunftsaufgabe für die Marketingabteilungen, sie müssen in den Unternehmen die Silos einreißen. „Holen Sie sich die im Unternehmen vorhandene Kompetenz ins Boot“, rät Norbert Taubken. Doch diese Kultur des Mitdenkens anderer Kompetenzbereiche gibt es beim Thema Nachhaltigkeit noch nicht. „Da muss noch ein Lernen stattfinden“, so Taubken. „Aber wir werden in den nächsten Jahren Unternehmen sehen, die damit erfolgreich sind und das wird zu Nachahmer-Effekten führen.“

Dier Text wurde zuerst im CSR-Magazin veröffentlicht.

Nachhaltigkeit im Produktmarketing
Nachhaltigkeit im Produktmarketing
Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Hemmnisse beseitigen – Fördern Unternehmen nachhaltigen Konsum?

Hemmnisse beseitigen – Fördern Unternehmen nachhaltigen Konsum?

Es ist jetzt knapp zwei Jahre her, da stand mitten auf dem Berliner Alexanderplatz ein grüner Automat. Für nur 2 Euro konnten sich Interessierte mit einem neuen T-Shirt eindecken. Schnäppchenjäger ließen nicht lange auf sich warten und warfen ein Geldstück ein. Doch statt des angepriesenen T-Shirts schlug der Automat auf einem Display vor: „Meet Manisha“. Manisha war in diesem Fall ein Mädchen – stellvertretend für die vielen Arbeiterinnen in den Textilfabriken Bangladeschs – die für wenig Geld unter schlimmsten Bedingungen das T-Shirt produziert hat. Im Anschluss an den Film wurden die Käufer gefragt, ob sie immer noch am T-Shirt interessiert sind, oder die 2 Euro lieber spenden wollten. Die Idee stammte von der Organisation „Fashion Revolution“, die immer wieder mit spektakulären Aktionen auf die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie aufmerksam macht. Bei den renommierten Red Dot Design Awards wurde das, gemeinsam mit der Werbeagentur BBDO durchgeführte Projekt gleich mehrfach, unter anderem in der Kategorie „Social Responsibility“, ausgezeichnet.

Dies ist die eine Seite, mit der Verbraucher zu verantwortlicherem Konsum angehalten werden können. NGOs setzen gerne auf solche Maßnahmen, die einerseits wachrütteln, andererseits informieren. Für Unternehmen sind sie eher ungeeignet. Sie müssen versuchen, nachhaltigen Konsum ohne erhobenen Zeigefinger zu fördern. Denn nachhaltiger Konsum umfasst weit mehr als Billigshirts oder Gen-Tomaten. Entsprechend unterschiedlich sind die Zugangswege. So achten beispielsweise fast dreiviertel der Konsumenten in Deutschland auf Energieeffizienz, wenn sie sich ein Haushaltsgerät kaufen. Sicher stehen dabei nicht nur Umweltaspekte im Vordergrund, aber auch Geld sparen kann ein Weg zu nachhaltigerem Handeln sein. In diesem Beispiel hat vor allem die Politik durch verpflichtende Kennzeichnungen den Weg geebnet.

Nachhaltiger Konsum soll Mainstream werden

Und die Politik ist es auch, die den nachhaltigen Konsum vorantreiben will. So hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr ein „Nationales Programm für nachhaltigen Konsum“ ins Leben gerufen und auch in die neue Nachhaltigkeitsstrategie hat das Thema Einzug gehalten. Auf internationaler Ebene sind es vor allem die Sustainable Development Goals, die im nachhaltigen Konsum, adressiert mit dem Ziel 12, einen wichtigen Baustein für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft sehen. Das verdeutlicht einen zentralen Zusammenhang: Der Preis den wir in der Regel für unsere Produkte bezahlen, entspricht nicht dem realen Wert der Ware – die Kosten werden externalisiert. Die Berücksichtigung dieses Aspekts ist Voraussetzung um Konsum als nachhaltig zu bezeichnen. Für die Bundesregierung und ihrem Aktionsplan bedeutet dies, die entsprechende Kompetenz der Verbraucher zu steigern, gleichzeitig aber die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am nachhaltigen Konsum zu ermöglichen. Nachhaltiger Konsum soll aus der Nische geholt und Mainstream werden, so das erklärte Ziel. Mobilität, Ernährung, Wohnen und Haushalt, Büro und Arbeit, Bekleidung sowie Tourismus und Freizeit sind die Konsumbereiche, in denen dabei das größte Potenzial gesehen wird, das Ziel auch zu erreichen.

Doch noch sind wir vom Mainstream weit entfernt. Selbst scheinbar positiven Entwicklungen, die ein Umdenken erahnen lassen, geht manchmal die Luft aus. So wurde beispielsweise in den vergangenen Jahren ein zunehmender Trend zur vegetarischen oder veganen Ernährung erkennbar. Vor allem die stetig steigenden Verkaufszahlen fleischloser Ersatzprodukte wurden als Indikator betrachtet. Doch damit ist nun Schluss, wie eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Dezember letzten Jahres zeigt. Die Verkaufszahlen brachen signifikant ein und sind inzwischen sogar rückläufig. Nur wenige Wochen später wird eine Studie des VEBU (Vegetarierbund Deutschland) veröffentlicht, die das Gegenteil behauptet. Der Bedarf sei groß, wachse stetig und die bestehenden Angebote würden die Nachfrage noch lange nicht decken. Die Gründe für die rückläufigen Verkaufszahlen könnten beispielsweise in Testergebnissen liegen, die den Fleischersatzprodukten teilweise schlechte Qualität und erhebliche Verunreinigungen bescheinigten. Die GfK vermutet andere Gründe. So blieben viele Verbraucher Einmalkäufer, weil sie vom Produkt nicht überzeugt sind. Dennoch sei in den Zahlen auch ein Trend zu erkennen. Die Konsumforscher sehen nämlich schon ein vorhandenes Bedürfnis der Verbraucher nach Alternativen zur Massentierhaltung. Doch eine Abkehr vom Billigfleisch bedeutet nicht zwingend eine Zuwendung zur vegetarischen Ernährungsweise.

Consumer Confusion beeinflusst das Kaufverhalten

Dieses kleine Beispiel zeigt schon die Komplexität nachhaltigerer Konsumentscheidungen. Am Ende bleiben unter Umständen irritierte Verbraucher zurück, die in ihren alten Kaufmustern verharren. Diese Verhaltensmuster zu durchbrechen, stellt sicher die größte Herausforderung bei der Förderung nachhaltigen Konsums dar. Denn der viel größere Teil der Konsumenten hat zunächst gar keine Affinität zu nachhaltigen Produkten, oder setzt diese nicht in entsprechende Handlungen um. Gründe können in der Preisgestaltung liegen, an fehlenden Informationen oder dem Gegenteil, einem Zuviel an Informationen – es fehlt dann die Orientierung. Forscher nennen das Consumer Confusion und die kann erheblichen Einfluss auf das Kaufverhalten haben und ein großes Hemmnis für nachhaltigen Konsum sein.

Die Wissenschaftlerin Anja Buerke von der HHL Leipzig hat diesen Zusammenhang, der dann Eco Confusion heißt, in einer Studie untersucht. Eco Confusion führt zum Abbruch oder Aufschub von Kaufentscheidungen, so eine der Erkenntnisse. Gründe für die Verwirrung können beispielsweise die zahlreichen Siegel sein. Sie erhöhen eben nicht nur die beabsichtigte Transparenz, sondern verunsichern die Verbraucher. Diese Verunsicherung wird noch gesteigert, wenn gleich mehrere Siegel auf einem Produkt haften – z.B. Bio und Fairtrade, oder Siegel in einer Art Konkurrenz stehen, wenn beispielsweise ein Produkt als Bio gekennzeichnet ist, ein vergleichbares als Regional. Diese Einflüsse erschweren die Kaufentscheidung und führen im extremen Fall zum Abbruch – der Kunde kauft also keines der Produkte, weil er sich nicht entscheiden kann.

Die Nachhaltigkeitsmanager der Hersteller am POS

Buerke hat sich aber nicht nur mit den Ursachen der Eco Confusion beschäftigt, sondern auch mit Wegen, diese Hemmnisse zu beseitigen. Vermehrte Anstrengungen am Point of Sale sind demnach ein geeignetes Mittel, die Eco Confusion zu beseitigen. Genau auf diesen Weg setzt auch das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensentwicklung (ZNU) der Universität Witten/Herdecke. Deren Standard für die Lebensmittelindustrie soll Antworten liefern, wie nachhaltiger Konsum am POS gefördert werden kann. Ursprünglich wurde der Standard entwickelt, um die Beziehung zwischen Hersteller und Handel in den Bereichen der Nachhaltigkeit zu vereinfachen. Nun will man den Standard nutzen, um Nachhaltigkeit auch den Verbrauchern näher zu bringen. Denn ob ein Produkt als nachhaltiger wahrgenommen wird, hängt in großem Maße davon ab, ob der Hersteller ein gutes und glaubwürdiges Nachhaltigkeitsimage hat. Dabei testen die Wissenschaftler nun neue Wege in der Kundenansprache am Point-of-Sale. Nicht mehr Label, Broschüren oder Plakate sollen die Kunden überzeugen, sondern die Nachhaltigkeitsmanager der Hersteller selbst. In einzelnen Lebensmittelmärkten wurden dafür Nachhaltigkeitstage durchgeführt, an denen Vertreter bekannter Hersteller wie Bahlsen und Ritter Sport, den Kunden direkt als Ansprechpartner zur Verfügung standen. Die Forscher waren mit den Ergebnissen zufrieden, und auch die Hersteller konnten deutliche Steigerungen beim Abverkauf verbuchen. Weitere Tests, ergänzt um neue Kommunikationsansätze, sollen zusätzliche Ergebnisse bringen.

Nun ist klar, die Nachhaltigkeitsmanager können nicht ständig und überall als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Um dennoch eine Antwort auf die Consumer Confusion zu haben, kommen die Mitarbeiter am POS ins Spiel, egal ob die zum eigenen Unternehmen gehören oder bei Vertragshändlern beschäftigt sind. Ohne notwendige Kenntnisse können die Verkaufsmitarbeiter nicht auf Kundenfragen reagieren. Gerade im beratungsintensiveren und nachhaltigkeitsaffinen Bereich der Outdoor-Ausrüstung ein echtes Manko. Diese Erfahrung hat man auch bei Vaude gemacht und die Schulungsreihe Green Shape Campus ins Leben gerufen. Dort werden Mitarbeiter zu den wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen rund um die Produkte geschult. Die Themen reichen von der Lieferkette, über die Fair Wear Foundation und die Nachhaltigkeitsinitative BlueSign, bis hin zu Produktlebenszyklen und Materialkunde. Zurück in den Geschäften sind fortan kompetente Ansprechpartner. Dieses Modell hat sich von Beginn an in den Verkaufszahlen niedergeschlagen und wird deshalb weiter fortgeführt. Über 200 Händler wurden inzwischen auf diesem Weg zu Nachhaltigkeitsexperten geschult.

Mitarbeiter als Nachhaltigkeitsbotschafter

Ganz ähnlich geht auch der Lebensmittelhändler REWE Group vor und nennt das Kind beim Namen – Nachhaltigkeitsbotschafter. Das können Auszubildende sein, genauso aber auch Marktleiter. Entscheidender ist die Begeisterung für Nachhaltigkeitsthemen. „Für uns ist es wichtig, dass unsere Mitarbeiter beim Thema Nachhaltigkeit kompetent sind“, sagt Nicola Tanaskovic, Bereichsleiterin Nachhaltigkeit bei der REWE Group. Die Nachhaltigkeitsbotschafter werden speziell zu Nachhaltigkeitsthemen geschult. Mit diesem Wissen stehen sie in den Märkten als Ansprechpartner für Kunden und Mitarbeiter zur Verfügung. Bislang ist man bei REWE mit diesem Ansatz zufrieden. Die Nachhaltigkeitsbotschafter wirken als Multiplikatoren in die Belegschaft und auch von den Kunden wird der individuellere Ansatz goutiert. Denn die Botschafter setzen in den Märkten die Maßnahmen und Aktionen um, die sie selber identifiziert haben und die in ihrem eigenen Interesse liegen. Vorgeschrieben werden die Themen nicht, nur die Abstimmung mit der erforderlich.

Aber auch die anderen Mitarbeiter im Verkauf werden im Rahmen eines verpflichtenden Schulungsprogramms auch über Nachhaltigkeitsaspekte informiert. Mittels E-Learning werden sie zu grünen Produkten, zu den Bereichen Energie, Klima und Umwelt, sowie Mitarbeiter und gesellschaftliches Engagement geschult. Über 70.000 Mitarbeiter haben die modern und leicht verständlich aufbereiteten Schulungen bislang absolviert. Sie können dann den Kunden grundlegende Fragen zu Nachhaltigkeitsstandards oder Siegeln beantworten. „Wir versuchen allerdings die Themen mit dem jeweiligen Arbeitsumfeld so zu verzahnen, dass beispielweise ein Mitarbeiter an der Käsetheke auch Auskunft über Gentechnik geben kann“, so Tanaskovic.

Direkter Kontakt mit den Lieferanten

Nachhaltigkeit gewinnt bei den Mitarbeitern an Relevanz, ist man bei der REWE Group überzeugt. Seit 2008 betreibt das Unternehmen die diversen Maßnahmen und Aktionen, mit spürbar zunehmender Eigeninitiative der Mitarbeiter, vor allem in den letzten Jahren. Dazu trägt auch die 3-tägige interne Nachhaltigkeitsmesse bei. Rund 3.000 Mitarbeitern wurde das Sortiment nachhaltigerer Produkte präsentiert, sie wurden zu den relevanten Nachhaltigkeitsthemen geschult und kamen direkt mit den Lieferanten in Kontakt. „Die Aktion war ein voller Erfolg“, so Tanaskovic. „Die Mitarbeiter sind mit spürbarer Begeisterung zurück in ihre Filialen gegangen“. Ein wichtiges Feedback: Zahlreiche Teilnehmer erklärten, erst durch die Teilnahme an der Messe ein tieferes Verständnis für das Nachhaltigkeitsengagement der REWE Group erhalten zu haben. „Mit dieser Erfahrung können sie die Themen natürlich auch besser im Berufsalltag kommunizieren“, sagt Tanaskovic. Das kommt dann unter anderem den Nachhaltigkeitswochen zugute, die die REWE Group 3-mal im Jahr in den Märkten durchführt. Neben Aufklärungsaktionen am POS, oft gemeinsam mit Partnern wie der Umweltorganisation NABU, werden in dieser Zeit nachhaltigere Produkte verstärkt beworben.

Kundinnen nachhaltige Kaufentscheidungen ermöglichen

Die eigenen Angestellten als Botschafter für Nachhaltigkeit zu verstehen, ist ein Ansatz, dem auch das Modeunternehmen C&A folgt. Die Logik dahinter: Frauen machen den Großteil der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie aus genauso wie im eigenen Unternehmen. Auch auf Kundenseite überwiegt das weibliche Geschlecht, entsprechend konzentriert das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsaktivitäten auf Frauen. „Unsere mehr als 60.000 Mitarbeiter spielen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung unseres Engagements für nachhaltige Mode“, heißt es dazu im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht. Die Mitarbeiterinnen sollen Botschafter der eigenen Marke sein und in den Geschäften den Kundinnen nachhaltige Kaufentscheidungen ermöglichen. Erklärtes Ziel ist es, dieses Engagement weiter auszubauen. Einen ganz anderen Weg nachhaltigen Konsum zu fördern, testet der Versandhändler Otto-Group und stellt dabei sogar das eigene Geschäftsmodell in Frage. Nach dem Motto, der nachhaltigste Konsum ist der, der gar nicht stattfindet, setzen die Hamburger mit ihrer Plattform OTTO NOW auf den aktuellen Trend der Share-Economy. Nicht kaufen, sondern mieten heißt die Devise. Möglich ist dies mit Fernsehgeräten, Waschmaschinen, Tablets oder Kaffeevollautomaten. Es sind aber auch Drohnen oder E-Bikes im Angebot. „Die Idee, Produkte auf Zeit zu besitzen und lediglich zu mieten, hat in Deutschland ein neues Level erreicht“, sagt Marc Opelt, Bereichsvorstand Vertrieb. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, „die Bereitschaft der Konsumenten für Mietangebote zu testen.“ OTTO NOW bietet die Produkte als neuwertig, für mindestens drei Monate, zur Miete an. Neuwertig heißt, dass die Produkte wie neu, professionell gereinigt und voll funktionsfähig sind. Bei Produkten, auf denen persönliche Daten gespeichert werden können, werden diese entfernt und das Gerät auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Ob dieses Modell die Zukunft für den Versandhändler bedeuten kann, werden die Erfahrungen zeigen.

Dieser Text ist erstmalig im CSR-Magazin und auf csr-news erschienen.

Nachhaltigkeit Konsum
Nachhaltigkeit Konsum
Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Step by Step – Wie Nestle an einer fairen Lieferkette arbeitet

Step by Step – Wie Nestle an einer fairen Lieferkette arbeitet

Einige gezielte Schläge mit dem Holzknüppel, oder einer Machete, und schon gibt die dunkelgelbe, leicht orange schimmernde Schale nach und ihr Inneres frei. Zum Vorschein kommt ein traubenförmiges Gebilde dutzender, 3–4 cm langer Kerne, die von einer weißlichen, etwas gliberigen, fruchtig schmeckenden Masse (Pulpa genannt) umhüllt sind. An Schokolade erinnert jetzt noch gar nichts.

Ich treffe Achim Drewes am Flughafen Charles de Gaulles in Paris. Drewes ist Public Affairs Manager bei Nestle in Deutschland. Er organisiert und koordiniert dort unter anderem den Stakeholderdialog und ist meist erster Ansprechpartner für alle Fragen rund um Nestles Nachhaltigkeitsprogramm Creating Shared Value. Wir wollen gemeinsam die Kakaoplantagen der Elfenbeinküste besuchen und uns davon überzeugen, ob Nestle mit seinem Cocoa- Plan tatsächlich die beabsichtigen Ziele erreicht. Mit dabei ist Volker Kromrey von der NGO Bodensee-Stiftung, der seinen Blick vor allem auf die Biodiversität in den Plantagen richten wird.

Kleinbäuerliche Strukturen prägen den Anbau

Der erste starke Eindruck in der Elfenbeinküste ist das Klima. Die momentane Regenzeit sorgt für Luftfeuchtigkeit zwischen 80 und 90 Prozent bei Temperaturen um die 30 Grad. Erstmal nichts für mitteleuropäische Gemüter, aber genau die richtige Umgebung für Kakaopflanzen. Der weltweite Kakaoanbau findet ausschließlich in den tropischen und subtropischen Regenwäldern statt. Damit bietet die Elfenbeinküste optimale Bedingungen, auch wenn die Pflanze dort nicht heimisch ist. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Nachfrage nach Schokolade in Europa immer weiter stieg, wurde der Kakao durch die Kolonialmächte in Westafrika eingeführt. In Ghana und der Elfenbeinküste entwickelten sich kleinbäuerliche Strukturen mit schnell steigenden Produktionsmengen.

Heute gibt es in der Elfenbeinküste rund 800.000 kleinbäuerliche Betriebe, die meist nicht mehr als drei Hektar Land bewirtschaften. Zu wenig, um davon ein angemessenes Einkommen zu beziehen. Laut Cocoa-Barometer 2015 leben die Kakaobauernfamilien in der Elfenbeinküste durchschnittlich von rund 0,50 US-Dollar pro Kopf und Tag – deutlich unter der Armutsgrenze. Einer der Gründe ist die unzureichende Bewirtschaftung der Plantagen. Die Pflanzen sind häufig zu alt und krankheitsanfällig. Doch solange sich noch Früchte ernten lassen, verzichten die Bauern auf neue Pflanzen, akzeptieren damit aber auch geringere Ernten.

Ein Problem nicht nur für die Farmer, denn die Nachfrage nach Kakao, vor allem aus zertifiziertem Anbau, kann durch das Angebot kaum gedeckt werden. Nahezu alle großen Schokoladenhersteller in Europa haben sich umfangreiche Nachhaltigkeitsziele gesetzt und investieren in entsprechende Programme. Dabei haben sie vor allem auch ihre eigenen Interessen im Blick. Sollte es in absehbarer Zeit wirklich zu spürbaren Einbußen beim Export kommen, würde dies zwangsläufig auf das eigene Geschäftsmodell durchschlagen. Doch eine Trendwende lässt sich nicht einfach verordnen. Zudem bleibt auf den Farmen der Nachwuchs aus. Die jungen Leute versuchen ihr Glück lieber in Abidjan, dem Wirtschaftszentrums Westafrikas, als für karge Löhne und viel Arbeit weit ab im Hinterland ein Leben voller Entbehrungen zu führen. Nur selten kehren sie zurück mit der Absicht Kakaobauer zu werden. Khofi ist einer von denen die es gewagt haben. Sein Abenteuer Abidjan hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Er ist zurück in sein Dorf und hat sich mit Unterstützung durch eine Kooperative erfolgreich der Herausforderung gestellt. Inzwischen ist er überzeugter Kakaofarmer und betreibt eine Plantage mit Vorbildcharakter.

Für den Massenmarkt braucht es verlässliche Mengen und Beständigkeit

„In Deutschland beziehen wir inzwischen unseren gesamten Kakaobedarf aus dem Cocoa-Plan und alle Produktionsstätten sind UTZ-zertifiziert“, sagt Achim Drewes. Die nicht im deutschen Stammwerk in Hamburg produzierten Saisonwaren werden ab diesem Jahr einbezogen. Rund 380.000 Tonnen Rohmaterial benötigt der Konzern pro Jahr um daraus Produkte wie Kitkat oder Smarties herzustellen. Rund die Hälfte davon kommt aus der Elfenbeinküste. „Der Kakao, den wir von dort beziehen hat eine solide Qualität“, so Drewes. Um Schokoriegel für den Massenmarkt zu produzieren braucht es keinen Edelkakao, eher Beständigkeit und verlässliche Mengen. Die will Nestle unter anderem mit dem Cocoa-Plan sicherstellen und hat dafür Investitionen von 110 Millionen Schweizer Franken bis zum Jahr 2020 in Aussicht gestellt. „Wir sind an langfristigen Lösungen interessiert“, sagt Drewes, „Für uns und für die Bauern“. Dafür verfolgt der Plan wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele. Nestle will den Bauern ermöglichen ertragreicher zu wirtschaften. Das ist die Basis für höhere Einkommen und bessere Lebensbedingungen.

Nestle, Kakaoanbau und Elfenbeinküste, ein Dreiklang, der bei etlichen Verbrauchern Unbehagen hervorruft. Kaum eine andere Anbauregion wird so eng mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht wie die Elfenbeinküste. Dafür hat unter anderem der Film „Schmutzige Schokolade“ des dänischen Filmemachers Miki Mistrati gesorgt. Nestle geriet auch ins Visier und musste sich unbequeme Fragen stellen lassen. Eine unangenehme Situation, erinnert sich Drewes, „Wir waren bei diesem Thema noch nicht sprechfähig“. Das konnte und sollte nicht so bleiben. Der Cocoa-Plan stand damals noch am Anfang, aber mit ihm sollte nicht nur die Sprechfähigkeit zurückkommen, sondern auch die schlimmen Formen der Kinderarbeit beseitigt werden.

Nathan Bello ist Nestles Mann vor Ort. Er leitet ein fünfköpfiges Agronomen-Team, dessen Aufgabe es ist, die mittlerweile über 70 Partnerkooperativen zu betreuen und dafür zu sorgen, dass die Bauern in guter Agrarpraxis ausgebildet werden. Nathan ist ein Überzeugungstäter, der sein Handwerk bei Fairtrade gelernt hat. „Nestle hat mich praktisch inmitten einer Plantage abgeworben“, erzählt er, nicht  ganz ohne Stolz. Leute wie Nathan braucht es, um die Farmer vom Sinn des zertifizierten Anbaus und den Vorteilen des Cocoa-Plans zu überzeugen. „Ich hätte auch in Europa leben können, so wie viele meiner Freunde“, sagt er und fügt gleich hinzu: „Doch da braucht man mich nicht. Hier kann ich etwas bewegen. Wir müssen Afrika entwickeln“. Es scheint genau diese Haltung zu sein, die die Farmer und Mitarbeiter in den Kooperativen spüren und ihn deshalb schätzen. Dabei ist Nathan kein Schönredner, er fordert in klaren Worten Gegenleistungen. Step by Step ist seine Maxime und die muss er von den Farmern immer wieder neu einfordern.

Den ersten Schritt macht Nestle und schult die Farmer in modernen Agrarpraktiken, um ihre Erträge zu erhöhen. In den sogenannten FarmerField Schools lernen sie wie die Plantage beschaffen sein muss. In einem Kreis aus Plastikstühlen inmitten einer Plantage finden die Schulungen statt. Hier lernen die Farmer unter anderem, wie wichtig die Bepflanzung mit Schattenbäumen ist, also Bäume die höher sind als die empfindliche Kakaopflanze und diese vor direkter Sonneneinstrahlung schützen. Doch oftmals werden die vorhandenen Schattenbäume gefällt und das Holz für die Feuerstätten genutzt. Zudem sollten die Plantagen umrahmt sein, beispielsweise mit Bananenstauden. Ein zusätzliches Nahrungsmittel und die großen Blätter lassen sich bei der späteren Fermentierung nutzen. Und auch der richtige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist Gegenstand der Schulungen.

Moderne Pflanzen steigern den Ertrag

Von großer Bedeutung ist zudem die Qualität der Kakaopflanze. Seit 2009 unterhält Nestle ein eigenes Forschungszentrum in der Elfenbeinküste. Die dort entwickelten Setzlinge werden den Farmern kostenlos zur Verfügung gestellt. Wichtig ist dabei die Mischung verschiedener Sorten, um bei etwaigem Krankheits- oder Schädlingsbefall nicht die komplette Ernte zu verlieren. Diese verbesserten Setzlinge ermöglichen den Farmern ihre Ernteerträge, um das Dreifache zu steigern und entsprechend höhere Einkommen zu erzielen. Kommen dann noch die Mehreinnahmen durch die Zertifizierung dazu, lassen sich die Lebensumstände in den Dörfern langsam, aber stetig verbessern. Und auch der Staat sorgt inzwischen durch die Zahlung eines Mindestpreises, angepasst an den steigenden Weltmarktpreis, für mehr Stabilität.

Mit den zusätzlichen Geldern werden dann beispielweise Schulen betrieben. Bis zum 12. Lebensjahr sollen die Kinder in die Schule gehen, doch die ist oft weit entfernt. Damit trotzdem unterrichtet werden kann, müssen die Schulen in den Dörfern sein. Auch hier gilt das Prinzip des Step by Step. Nestle unterstützt beim Aufbau eines Schulgebäudes, doch den Betrieb müssen die Einwohner selbst bewerkstelligen. Nicht immer einfach Lehrer von einem Leben in den abgelegenen Regionen zu überzeugen. Ein eigenes Haus ist dann eine der Minimalanforderungen. Um auch sicherzustellen, dass die Kinder nicht doch auf den Plantagen arbeiten, ernennen die Kooperativen Beauftragte für Kinderarbeit, die für die Umsetzung bei den Mitgliedern sorgen und regelmäßig an die Zertifizierer berichten. Nach welchen Kriterien dabei vorgegangen wird, ist allerdings nicht immer ersichtlich.

Tägliche Überzeugungsarbeit

Eines wird auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste deutlich. Die in Deutschland veröffentlichten Zahlen in einem Nachhaltigkeitsbericht sind das Resultat einer ganzen Reihe von Menschen, die mit viel Einsatz die Idee des fairen, gleichberechtigten und nachhaltigen Handels umsetzen. Es beginnt mit dem Commitment des Top-Managements, über engagierte Mitarbeiter vor Ort und in den Kooperativen. Und es sind einzelne Farmer oder Bewohner der Dörfer, die ihr Wissen weitertragen und dafür sorgen, dass noch mehr Menschen davon profitieren. „Es ist tägliche Überzeugungsarbeit“, sagt Nathan Bello. Deshalb ist er auch lieber unterwegs bei den Kooperativen und in den Plantagen als in seinem Büro in Abidjan. Denn Schwierigkeiten gibt es genug. Da ist die Kooperative, die in guten Jahren zu üppig investiert hat und nun den Kapitaldienst für leerstehende Gebäude leisten muss. Da gibt es den Farmer der, weil er gerade Geld braucht, an denjenigen verkauft, der am schnellsten auf seiner Farm ist und das ist nicht immer die Kooperative. Da werden Kakaobohnen, die für den Export zu klein sind, in Nachbarländer verkauft und landen dann doch wieder auf dem Weltmarkt. Aber es gibt auch die Entwicklung zu höherer Professionalität. Inzwischen werden große Mengen des Kakaos in Abidjan weiterverarbeitet und somit weitere Wertschöpfungsstufen im Land gehalten. Und welches Fazit zieht Achim Drewes? „Es ist gut zu sehen, wie die Dinge in Bewegung kommen und sich die Lebensumstände der Menschen verbessern“, sagt er. „Aber, man sieht auch noch jede Menge Arbeit“.

Der Beitrag wurde zuerst im CSR-Magazin veröffentlicht.

Nachhaltigkeit Lieferkette
Nachhaltigkeit Lieferkette
Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Chancen (er-)kennen und nutzen

Chancen (er-)kennen und nutzen

Das Alte auf eine neue Weise tun“, so sagte es der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, das sei Innovation. Für ihn war der Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ der Kern unternehmerischen Handelns. Für Schumpeter kamen die auslösenden Impulse aus dem Markt, heute sind globale Entwicklungen wie der Klimawandel oder die Rohstoffverknappung zusätzliche Treiber für Produktinnovationen. Auf dem Weg zur „Green Economy“ wird jedes verantwortlich handelnde Unternehmen vor neue Herausforderungen gestellt, einfache Qualitätsversprechen reichen nicht mehr aus, um am Markt zu bestehen. Produkte müssen einer nachhaltigen Entwicklung genügen, ausgehend von der ressourcenschonenden Produktion bis hin zur umweltgerechten Entsorgung. Vorausschauende Unternehmer berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien deshalb schon bei der Entwicklung und verbessern damit ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Nachhaltigkeit auch im Maschinenbau

Längst sehen Unternehmen aller Branchen die Herausforderung als Chance und sichern mit innovativen Lösungsansätzen die Zukunftsfähigkeit ihrer Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen. Zahlreiche Brancheninitiativen zeugen von der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und die sind längst nicht mehr nur im Konsumgütermarkt zu finden. Ende 2011 hat der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA ) die Nachhaltigkeitsinitiative „Blue Competence“ ins Leben gerufen. Mehr als 250 Unternehmen und weitere 37 Branchenverbände haben sich inzwischen der Initiative angeschlossen. Nachhaltigkeit und Maschinenbau werden selten in einem Atemzug genannt, dies will die Initiative ändern und die Innovationsfähigkeit dieser Schlüsselbranche sichtbarer machen und weiter vorantreiben. Vor allem für die Zulieferindustrie wird dies auch zur Überlebensfrage. In den Einkaufsabteilungen großer Konzerne finden Nachhaltigkeitskriterien zunehmend Einzug und auch bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand werden ökologische und soziale Kriterien zukünftig immer öfter Berücksichtigung finden. Dann kann die bessere Ökobilanz oder die richtige Zertifizierung zum ausschlaggebenden Kriterium werden. Schließlich werden auch an die Endprodukte Nachhaltigkeitsforderungen gestellt.

In der Praxis dominiert Energieeffizienz

„Jedes Produkt, das wir neu entwickeln, muss seinen Vorgänger ökonomisch und ökologisch übertreffen“, heißt es deshalb beim fränkischen Anbieter von Luft- und Antriebstechnik ebm-papst, Teilnehmer der „blue competence“-Initiative. Unter der Unternehmensleitlinie „GreenTech“ fasst das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsaktivitäten zusammen. Schon während der Produktentwicklung werden Umweltverträglichkeit, Energiebilanz und Recyclingfähigkeit berücksichtigt, und zwar sowohl für die Produktion als auch für den späteren Einsatz beim Kunden. Lebenszykluskostenrechnung oder Produktlinienanalyse sind die Instrumente, mit denen Unternehmen die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Produkte erfassen können. In der Praxis dominieren noch ökologische Aspekte, meist wird an erster Stelle die Energieeffizienz verbessert und in der Folge der Product Carbon Footprint, der ökologische Fußabdruck eines Produktes. Dieser berücksichtigt die Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und über den gesamten Lebenszyklus des Produktes.

Tatsächlich reichen die Anforderungen an eine verantwortungsvolle Produktentwicklung viel weiter und berücksichtigen ebenso Aspekte wie Ressourcenschonung, Biodiversität, Barrierefreiheit, Langlebigkeit oder Recyclingfähigkeit. Vor allem gilt, es die Produktions- und Nutzungsphase zu berücksichtigen. Gerade dieser Teil der Lebenszyklusbetrachtung wird gerne vergessen, aber die Verantwortung endet nicht an den Werkstoren. Innovative Produktlösungen haben deshalb auch die Auswirkungen beim Kunden beziehungsweise Konsumenten im Blick. Ein nachhaltiger Mehrwert überzeugt Kunden, und so hat man bei ebm-papst nicht nur die Einsparungen bei Energie und CO2-Ausstoß im Blick, sondern ebenso die Reduzierung von Geräuschemissionen sowie eine nachhaltige Logistik. Durch zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Umweltpreis des Landes Baden-Württemberg, sieht sich das mittelständische Unternehmen bestätigt und für die Zukunft gut aufgestellt.

„Unsere Produkte müssen den Kunden einen Mehrwert bieten“, sagt auch Andreas Merkel. Er ist Geschäftsführer des mittelständischen Familienbetriebs Otto Garne. „In unserem Segment lohnt es sich eigentlich nicht, in Deutschland zu produzieren“, so Merkel, „deshalb setzen wir auf eine Premium- und Nischenstrategie.“ Seine Abnehmer kommen aus der Textilindustrie, und die kauft hauptsächlich in den Billiglohnländern Asiens ein. „Garne bieten normalerweise nur begrenztes Innovationspotenzial“, so Merkel, „und neue Produkte lassen sich schnell kopieren.“ Mit innovativen und nachhaltigen Lösungen gelingt es ihm trotzdem, Hersteller wie Triumph, Lacoste, Daniel Hechter oder Brax zu überzeugen. Den entscheidenden Vorsprung sichert sich Otto Garne mit seinen „Sustainable Concepts“. Dahinter verbergen sich Produkte wie „recot2“, eine Faser, die aus frischer Baumwolle und recycelten Produktionsabfällen entwickelt wurde, oder „Piumafil“, ein hochwertiges Garn aus der als nicht verspinnbar geltenden Kapokfaser. Rund 20 Prozent vom Umsatz erwirtschaften diese nachhaltigen Produkte inzwischen, mit deutlichen Steigerungen, wie Merkel erklärt. So kann das Unternehmen seine Produktion am Standort Deutschland sichern und sich auch im Wettbewerb um Fachkräfte durchsetzen. „Wir gelten in der Region als attraktiver Arbeitgeber“, so Merkel, „vor allem auch durch unsere  Firmenphilosophie, in der Nachhaltigkeit fest verankert ist.“


Der Letzte seiner Art

Unternehmensporträt Gebr. Otto Baumwollfeinzwirnerei GmbH & Co. KG

Vor genau 112 Jahren wurde im württembergischen Dietenheim die Firma Otto Garne gegründet. Ein Exot in einer Branche, die es in Deutschland eigentlich nicht mehr gibt, die längst ins Ausland abgewandert ist. Für Otto Garne war dies nie ein Thema, wie Geschäftsführer Andreas Merkel versichert: „Wir leben hier unsere Werte von Generation zu Generation. Dazu gehört, dass wir uns mit unserem Standort identifizieren“. Am Gründungsort Dietenheim und im benachbarten Unterbalzheim beschäftigt das inzwischen in vierter Generation geführte Familienunternehmen 160 Mitarbeiter. Hier werden die jährlich 3.000 Tonnen feine Baumwollgarne und 1.000 Tonnen hochwertige Garne für die Kunden aus der Textilindustrie gesponnen und gezwirnt. „Nachhaltigkeit und Innovation bestimmen unser unternehmerisches Handeln“, sagt Merkel. Sichtbar wird dies in der Unternehmenssparte „Sustainable Concepts“ mit den Produktlinien Bio, Fairtrade, Piumafil und recot2. Seit 1998 befasst sich das Unternehmen mit der Entwicklung nachhaltiger und ganzheitlicher Produktionskonzepte, als Reaktion auf steigende ökologische Ansprüche der Kunden. Zahlreiche Zertifikate vom Fairtrade-Siegel bis hin zum Global Organic Textile Standard (GOTS ), einem Siegel für soziale und ökologische  Produktionsbedingungen in der textilen Wertschöpfungskette, belegen die Anstrengungen. Bei der neuesten Produktentwicklung recot2, in die das Unternehmen 300.000 Euro investiert hat, stand das Thema Recycling im Mittelpunkt. Mit einem neuen Verfahren werden Produktionsabfälle und Baumwolle zu einem Garn verarbeitet und dadurch Ressourcen geschont und auch enorme Mengen Wasser eingespart. „Der weltweite Wassermangel wird das zentrale Problem der Zukunft“, erläutert Merkel die Motivation für diesen Ansatz. Entstanden ist recot2 aus einer Kooperation mit der Universität Ulm. „Gerade in der Produktentwicklung sind Kooperationen und Netzwerke der Schlüssel für kleinere Unternehmen“, so Merkel.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin „Zukunft unternehmen“ der Bertelsmann Stiftung

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Ein PDF ist ein PDF – Trends im Online-Reporting

Ein PDF ist ein PDF – Trends im Online-Reporting

Literatur und Nachhaltigkeits-Reporting haben auch auf den zweiten Blick nicht viel miteinander zu tun, manch blumige Formulierung außer Acht gelassen. Vielmehr ist ein PDF einfach nur ein PDF und soll im Sinne von Peter Bichsels Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ auch so verstanden werden. Ein digitalisierter und als PDF ausgegebener Nachhaltigkeitsbericht kann online verwendet werden, ist aber weit davon entfernt, ein Online-Bericht zu sein. Die Frage lautet also: Was macht einen Online-Bericht aus, und wenn wir darüber reden, meinen dann alle das Gleiche? 

Nackte Informationen, klar und übersichtlich strukturiert, das ist es, was Analysten und Investoren bevorzugen und von Unternehmen erwarten. Doch damit lassen sich beispielsweise junge Leser, die von Instagram-Bilderwelten verwöhnt sind, kaum begeistern. Sie haben andere Informations- und Lesegewohnheiten und stellen andere ebenso wichtige Erwartungen an Unternehmen. Beide zu erreichen, ist Sinn und Aufgabe eines Online-Nachhaltigkeitsberichts. „Das ist die Unterscheidung zwischen Kür und Verpflichtung. Zwischen online bereitgestellten PDF-Dokumente ohne Funktion bis zu interaktiven Websites mit einem echten funktionalen und inhaltlichen Mehrwert des Digitalen“, sagt Nils Giesen, Senior Consultant beim Bremer Softwareentwickler Abat. 

Ein Nachhaltigkeitsbericht ist ein stichtagsbezogenes Zeugnis über eine zurückliegende Zeit, die in solchen Fällen meist ein bis zwei Jahre umfasst. Genau diese Bedingung muss online erfüllt sein, um von einem Nachhaltigkeitsbericht zu sprechen. An den gebotenen Standards orientiert zu berichten und gleichzeitig die kommunikativen und dialogorientierten Möglichkeiten einer Onlinepräsentation zu nutzen, ist die Herausforderung für CSR-Verantwortliche. Die Abgrenzung muss klar sein, soll aber nicht einengen. Denn Online-Reporting bietet ungeahnte Möglichkeiten, das Thema Nachhaltigkeit und die im Unternehmen gelebte Verantwortung zu illustrieren, läuft aber Gefahr, Nachhaltigkeitskommunikation und Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verschmelzen. „Aus meiner Sicht sollte die CR-Website einen Überblick über die wesentlichen Themen und Managementansätze in puncto Nachhaltigkeit geben – so kurz und prägnant wie möglich“, sagt Eloy Barrantes, Geschäftsführer der Wiener Kommunikationsagentur nexxar. „Der Online-Bericht dagegen ist das Gedächtnis und bietet detaillierte Informationen zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Wichtig ist natürlich, dass beide miteinander verknüpft werden.“

Online ist oft grundlegender

„Onlineberichterstattung folgt gewissen formalen Regeln, meist vorgegeben durch ein Rahmenwerk wie die GRI“, zieht Elisabeth Senger eine wichtige Abgrenzung. Für die Senior Beraterin der Münchner Kommunikationsagentur akzente folgt daraus in erster Linie die transparente Darstellung der Pflichtindikatoren. „Online über Nachhaltigkeit zu berichten ist oft grundlegender, es geht stark um die Unternehmenshaltung zum Thema. Dies schließt viele weitere Formate und Zielgruppen mit ein“, so Senger. „Zudem kann viel aktueller als in der printorientierten Berichterstattung kommuniziert werden.“ 

Davon scheint allerdings noch nicht jedes Unternehmen überzeugt zu sein. Schaut man in den aktuellen Corporate Reporting Monitor, eine internationale Studie rund um die Unternehmensberichterstattung des Center for Corporate Reporting (CCR), lassen sich einige Trends ablesen, wie sie zukünftig auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gelten können. Demnach hat sich das Motto „PDF first“ bei 51 Prozent der Unternehmen bereits etabliert, Tendenz steigend. Ihren Nachhaltigkeitsbericht „Online first“ veröffentlichen dagegen nur 16 Prozent. Dennoch lässt sich eine Zunahme der Onlineberichte, die diesen Namen auch verdienen, feststellen. Manche DAX-Unternehmen haben sich inzwischen vollständig auf die Online-Berichterstattung konzentriert und bieten ein rudimentäres PDF mit den GRI-Vorgaben für Investoren an. Unter Analysten und Investoren ist das PDF ohne Schnickschnack die beliebteste Form der Nachhaltigkeitsberichterstattung. 

Das PDF hat also noch lange nicht ausgedient. „Der ausschlaggebende Punkt der Berichterstattung ist immer Transparenz, die dem interessierten Leser ermöglicht wird. Der Blick auf die Zielgruppen ist damit entscheidend: Wer braucht welche Informationen auf welchem Weg?“, sagt Elisabeth Senger. „In vielen Fällen ist eine integrierte Kommunikation mit zielgruppenspezifischen Formaten zielführend. Nur so kann den Informationsbedürfnissen der verschiedenen Stakeholder entsprochen werden.“ Angelegt im Querformat, navigierbar, durchsuchbar und archivierbar kommt das PDF dem Use Case der Nachhaltigkeitsexperten am Desktop immer noch am besten entgegen. Entsprechend wird dieses Format in vielen Unternehmen wieder verstärkt eingesetzt. Senger: „Unternehmen sollten sich aber schon lange nicht mehr für oder gegen Formate entscheiden, sondern für Zielgruppen und Ziele der Nachhaltigkeitskommunikation, die sich wiederum aus Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie ableiten.“

Ein Klick wechselt zwischen zwei Ansichten

Wie das aussehen kann, zeigt der mehrfach ausgezeichnete 2018er Nachhaltigkeitsbericht des Lebensmittelkonzerns Rewe-Group. Mit einem Klick wird zwischen zwei Ansichten gewechselt. Auf der einen Seite taucht der Leser in anschaulich aufbereitete Informationen über die zentralen Nachhaltigkeitsthemen des Handelskonzerns ein. Auf der anderen Seite bietet der integrierte GRI-Bericht genau die Informationen, Daten und Fakten, die Analysten und Investoren interessieren. Innerhalb des GRI-Berichts lassen sich die Daten entweder anhand der GRI-Indikatoren sortieren oder anhand der Rewe-Nachhaltigkeitsstrategie. Egal für welchen Weg der Leser sich entscheidet, er wird wahrscheinlich fündig, denn die Informationen gehen in die Tiefe und sind schnell aufzufinden. Mit einem Mausklick lässt sich der gesamte GRI-Bericht auch als PDF runterladen und umfasst dann 267 Seiten. Zudem kann jederzeit das ebenfalls online produzierte Nachhaltigkeitsmagazin aufgerufen werden. Darin sind die wichtigsten Themen für einen breiteren Leserkreis aufbereitet. Auf diesem Weg will man in Köln unterschiedliche Zielgruppen gleichermaßen ansprechen. Der Bericht kann über eine eigene Domain aufgerufen werden, ist aber trotzdem in den gesamten Webauftritt des Unternehmens integriert.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Deutsche Telekom mit ihrem ebenfalls ausgezeichneten Nachhaltigkeitsbericht für das Jahr 2018. Das in Bonn ansässige Unternehmen setzt konsequent auf Onlineberichterstattung und bietet den gesamten Bericht (242 Seiten) oder nur den GRI-Index als PDF zum Download an. Im Internet ist der Bericht über eine Subdomain erreichbar, die sich optisch in den Gesamtauftritt einfügt, trotzdem sofort erkennbar vom Rest der Seite abgrenzt. Auf der Homepage des Berichts werden zentrale Verantwortungsthemen des Konzerns angesprochen und laden zur Vertiefung ein. Dabei landet man allerdings schnell im ebenfalls online umgesetzten Nachhaltigkeitsmagazin weCare. Hier verschwimmen die Grenzen und nur der Blick auf die Domäne zeigt an, wo man sich als Rezipient gerade befindet. Sehr schön gelöst ist ein interaktives Kennzahlentool, mit dem sich die wichtigsten KPIs aller Konzernunternehmen vergleichen lassen und die zugleich der Einstieg in die Tiefen des Berichts sind. Solche interaktiven Elemente sind immer noch die Ausnahme in der Online-Berichterstattung. 

Die Microsite ist quasi Pflicht

Beide Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie Nachhaltigkeitsberichterstattung insgesamt und Online-Reporting im Speziellen aussehen können. Denn eine digitale Aufbereitung sollte auch digitales Denken beinhalten. Doch genau daran scheitern viele Online-Berichte. Da wird dann der lineare Aufbau eines Printprodukts einfach übertragen und fertig ist der online publizierte Nachhaltigkeitsbericht. Selbst so erstellte PDFs bieten Möglichkeiten der Interaktivität, die jedoch selten genutzt werden. Vielmehr ist das unter Umständen mehrere hundert Seiten umfassende PDF noch nicht mal über ein Inhaltsverzeichnis steuerbar. So bleiben die Leser auf der Strecke oder werden gar nicht erst erreicht. 

Am Center for Research in Financial Communication der Universität Leipzig unterscheidet man mehrere mögliche Varianten für Online-Berichte. Das sind die Berichtsformen, bei denen der komplette Inhalt in HTML umgesetzt wird. Dann gibt es die Teaser-Page, auf der zentrale Inhalte aufbereitet sind, für deren Vertiefung verlinkte PDFs angeboten werden. Die Hybriden bieten Teile des Berichts in HTML an, andere dagegen als PDF. Alle diese Varianten lassen sich auch bei Nachhaltigkeitsberichten finden. Wichtig ist immer die klare und transparente Abgrenzung. „Die Microsite ist bei Online-Berichten quasi Pflicht“, sagt Eloy Barrantes. „Nutzer müssen klar erkennen können, dass sie sich nicht auf der Website des Unternehmens, sondern im Online-Nachhaltigkeitsbericht befinden.“ Im Vergleich zur stets aktuellen Unternehmenswebsite wird auf der Microsite auch der stichtagsbezogene Fix-Charakter erkennbar: Ebenso wie gedruckte Berichte werden diese nach Veröffentlichung nicht mehr verändert. In der Form einer Microsite kann sich der Nachhaltigkeitsbericht als zentrale Unternehmenspublikation aber auch funktional und gestalterisch von der Corporate Website abheben. 

Prozesse greifen nicht ineinander

An anderer Stelle zeigt sich, dass Online-Berichterstattung noch nicht zu Ende gedacht wird. Selbst wenn Nachhaltigkeitsberichte mit hohen Budgets umgesetzt werden, führen sie anschließend ein Dasein in der Nische. Während die Deutsche Telekom und die Rewe-Group ihre Nachhaltigkeitsberichte ganz selbstverständlich und prominent in den Online-Unternehmensauftritt integrieren, ist man bei anderen Unternehmen umständlich auf der Suche nach geeigneten Informationen. Die Gründe sind eher praktischer Natur und keine Absicht, meint Joëlle Loos-Neidhart, Leiterin Marketing und Kommunikation der Schweizer Neidhart + Schön Group, die aktuell die Online-Berichterstattung von Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz untersucht haben. „Die nicht-finanziellen Kennzahlen sind oftmals noch nicht bereit, wenn die finanzielle Berichterstattung erfolgt“, so Loos-Neidhart. „Letztere ist seit vielen Jahren in den Prozessen optimiert und eingespielt und im Trend immer früher im Jahr abgeschlossen, während die nicht-finanziellen Kennzahlen eine neuere Entwicklung darstellen und oftmals die Erfassung der Daten noch eine Herausforderung ist.“

Hinzu kommt, dass in vielen Unternehmen das nicht-finanzielle Reporting von einem anderen Fachbereich verantwortet wird. Unzureichend ausgestattete CSR-Abteilungen, wie sie das letzte CSR-Benchmark der Kölner Agentur Net-Federation beschreibt, leisten ihr übriges. Demnach fehlen in vielen Unternehmen die erforderlichen Ressourcen, um die Nachhaltigkeitskommunikation strategisch aufzubauen. Interessant wäre an dieser Stelle, wie sich die unterschiedliche Vorgehensweise auf die Zugriffszahlen auswirkt. Doch diesbezüglich ist die Auskunftsfreudigkeit der Unternehmen nicht sehr ausgeprägt. 

Klar ist auf jeden Fall: Gut gemachte Online-Berichte erhöhen gegenüber gedruckten Berichten die Aufmerksamkeit deutlich. Unternehmen sollten zukünftig also das reichhaltige Spektrum der Online-Kommunikation nutzen. „Es wird heute bei weitem noch nicht alles umgesetzt, was technisch möglich wäre. Beispielsweise Adhoc-Daten die spannendes Story-Telling begleiten wären heutzutage schon leicht umsetzbar“, so Nils Giesen. Auch neue technologische Ansätze wie virtual- oder augmented reality (VR oder AR) werden in die Onlineberichterstattung einfließen. Der Sportartikelkonzern adidas hat bereits erste Maßnahmen in der Nachhaltigkeitskommunikation getestet. Die Potenziale sind für Elisabeth Senger unverkennbar: „Diese neuen Technologien können reale Einblicke in Unternehmen und Lieferketten gegeben, die bisher nur durch Beschreibungen oder Bilder möglich waren. Klar ist aber auch, dass sich dann die Budgets in der Nachhaltigkeitsberichterstattung künftig an die der Geschäftsberichterstattung angleichen müssen.“

Keep it Simple and Stupid 

Der Werkzeugkasten für die zielführende Umsetzung der Online-Berichterstattung orientiert sich an den gängigen Standards moderner Webdesign-Programmierung. „Die User Experience muss stimmen, andernfalls ist der Leser schnell wieder weg, ohne die Inhalte aufgenommen zu haben“, so Elisabeth Senger. Für Nils Giesen heißt die Devise: Keep it Simple and Stupid. “Auch wenn es sicherlich spannend ist, gedanklich die Nachhaltigkeitsberichte in AR oder VR zu denken, eine heutige Umsetzung sollte auf Standardtechnologien basieren und bei Usability dem Mobile-first oder Mobile-responsive folgen.“ Das Feature-Repertoire für Online-Berichte zählt mittlerweile um die 100 Funktionen in sehr unterschiedlichen Komplexitätsstufen. „Zum Standard zählt es z.B., dass man in allen Online-Berichten Tabellen als XLS-Datei herunterladen kann“, so Eloy Barrantes. Auch eine Relevanz gesteuerte Suche sowie ein Responsive Design für mobile Endgeräte zählen zu den „Must-haves“. Barrantes: „Für mich kennzeichnen sich gute Online-Berichte aber vor allem dadurch, dass sie medienspezifische Darstellungsformen einsetzen und digitale Möglichkeiten ausschöpfen. Etwa im Bereich des Customized Reporting – z.B. durch Tagging.“ 

Auf jeden Fall gehört dem Online-Reporting die Zukunft, auch wenn PDFs und gedruckte Berichte noch lange nicht aussterben. Dennoch scheint das gedruckte Wort auf dem Rückzug. Die Wirtschaftsuniversität Wien hat gemeinsam mit der Agentur Nexxar Geschäftsberichte der DAX30 Unternehmen untersucht und dabei festgestellt: Während 2009 noch 30.842 Berichte gedruckt wurden, waren es 2019 nur noch 1.856 Exemplare. Ein sicheres Indiz für das Nachhaltigkeits-Reporting, davon ist Joëlle Loos-Neidhart überzeugt: „Nachhaltigkeitsinformationen werden in der Tendenz nicht gedruckt, sondern online veröffentlicht und dies immer öfter und professioneller, was dem Trend der Digitalisierung in der Kommunikation entspricht.” Vor allem weil Online-Berichte völlig neue Lesergruppen erschließen. „Online-Berichte sind heute ganz klar das Leitmedium der Nachhaltigkeitsberichterstattung“, bestätigt Eloy Barrantes. 

Von zentraler Bedeutung bleibt aber der grundlegende Anspruch an die Nachhaltigkeitsberichterstattung, Wahrhaftigkeit, Transparenz und Wesentlichkeit im Internet beizubehalten. Online gilt ebenso: ein Nachhaltigkeitsbericht ist ein Nachhaltigkeitsbericht. 


Das bietet Online-Nachhaltigkeitsberichterstattung

Sicher ist, die Berichterstattung über nichtfinanzielle Aspekte wird zunehmend online stattfinden. Oft liegen die Daten, die Basis jedes Berichts, schon digital vor. Doch digital ist noch lange nicht online. Online-Berichte müssen die Rezipienten im Blick haben, um ihre Vorteile voll auszuspielen. Worauf Unternehmen dabei achten sollten, haben uns die Experten von akzente Kommunikation und Beratung aus München erklärt:

Transparenz als Basis

Transparenz gegenüber allen Stakeholdern ist das A und O. Online bedeutet Transparenz auch Auffindbarkeit: Inhalte sind im Netz für jeden von überall und jederzeit zugänglich, durchsuchbar und vergleichbar – im Falle von archivierten Berichten noch Jahre nach der Veröffentlichung. Theoretisch. Denn gerade Nachhaltigkeitsberichte sind oft schwer auffindbar. Hier sollten Unternehmen auf Suchmaschinenoptimierung setzen, Themen und Informationsebenen verlinken und Barrierefreiheit mitdenken. 

Responsiv – nicht nur im technischen Sinne 

„Mobile first“ gilt natürlich auch in der Nachhaltigkeitskommunikation, die korrekte Ausgabe von Inhalten auf allen Devices ist essenziell. Doch Responsivität bedeutet zugleich, auf Nutzer einzugehen. Zum einen, indem Unternehmen die Klickzahlen auswerten und so die Interessen der Nutzer erkunden. Zum anderen, indem Dialogangebote bereitgestellt, aktiv genutzt und strategisch eingebunden werden. Beides ist für Nachhaltigkeitsinhalte bisher eher selten der Fall. 

Formate richtig nutzen

Online sind enorme Reichweiten möglich, eine strategische Kommunikation mit zielgruppenspezifischen Formaten vorausgesetzt. Das sollten die Nachhaltigkeitsberichterstatter nutzen: Interaktive Kennzahlendarstellungen und Grafiken können vieles veranschaulichen und Inhalte neuen Zielgruppen zugänglich machen. Hashtags verbinden Inhalte und machen es leichter, sie zu entdecken. Videos und Podcasts nehmen weiter in der Verbreitung zu. Letztere erleben derzeit geradezu einen Boom und eigenen sich gut für die Vermittlung von Nachhaltigkeitsinhalten.

Live berichten

Neben relevanten Inhalten und zielgruppenspezifischer Ansprache ist die Aktualität online entscheidend. Kontinuierliche Kommunikation zu aktuellen Entwicklungen über Social Media und die eigene Webseite sind die Konsequenz. Live-Umfragen und -Dialoge können Stakeholder in die Gestaltung des Wandels einbeziehen. Auch Live-Berichterstattung wird ein Thema werden: Nicht mehr die Rückschau auf ein vergangenes Jahr, sondern was heute passiert, ist für die meisten von Interesse – gerade in der aktuellen Klimaschutzdiskussion.

Dieser Text erschien zuerst im CSR-Magazin.

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
„Sinn“- Krise – Profit mit Purpose

„Sinn“- Krise – Profit mit Purpose

Die Covid-19-Pandemie öffnet Horizonte – das ist eine der zentralen Erkenntnisse jenseits von Epidemiologie und Medizin. Damit ist nicht nur der freie Blick auf Gebirgszüge gemeint, die ansonsten hinter dichtem Nebel unserer Wohlstands-Emissionen zu erahnen waren. Vielmehr werden grundlegende gesellschaftliche Fragen neu aufgeworfen oder rücken unmissverständlich ins Zentrum der Wahrnehmung.

Purpose ist mehr als das nächste große Ding

Ganz besonders trifft dies auf die Frage zu, ob unsere Art zu leben und zu wirtschaften nicht dringend korrigiert werden muss. Purpose ist dabei das Stichwort der Stunde. Aus dem Buzzword der vergangenen Zeit hat sich, schon bevor Corona China verlassen hat, eine intensivere Auseinandersetzung mit aktuell gesellschaftlichen Herausforderungen entwickelt und fordert auch von Unternehmen eine Haltung ein. Im Idealfall ist Purpose für Unternehmen mehr als das nächste große Ding, im Idealfall führt es zu einem tieferen Umdenken. Marketingtrends haben vielleicht ihre Berechtigung, die Auseinandersetzung um Sinn und Zweck unternehmerischen Handelns sollte allerdings, und das gilt ganz besonders in Corona-Zeiten, zu umfangreicherem Denken anregen.

Am Anfang, also im März, als die Corona-Pandemie den öffentlichen Raum in Beschlag nahm, hat die allgemeine Verunsicherung dazu geführt unsere Art des Wirtschaftens infrage zu stellen und gleichzeitig Besserung zu geloben. Innerhalb kürzester Zeit haben sich etliche Initiativen von Unternehmen und NGOs gebildet, die die Krise zu einem Neustart nutzen wollen und entsprechende Regelungen von der Politik eingefordert haben. Jetzt, wo sich die erste Welle der Pandemie abflacht und Wirtschaft und Gesellschaft wieder den normalen Alltag suchen, wird sich die Ernsthaftigkeit der Absichtserklärungen zeigen.

Gravierenden Verschiebungen in Gesellschaft und Wirtschaft

Zukunftsforscher Matthias Horx glaubt nicht an eine Rückkehr zur alten Normalität. Gemeinsam mit anderen Fachexperten hat er die Auswirkungen der Krise analysiert und ist zu dem Schluss gekommen: Die Welt wird nach Corona eine völlig andere sein. Dabei geht es ihm nicht so sehr um neue Verhaltensregeln im Umgang miteinander, sondern es geht ihm um die eventuell gravierenden Verschiebungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Es geht ihm um die Verschiebungen in den Märkten, in den Business-Modellen und Wertschöpfungen. In den Firmenkulturen, den Denk- und Fühlweisen, den Codes der Gesellschaft. „Die Coronakrise bedeutet einen grundlegenden Wandel“, so Horx. „Sie betrifft alle Lebensbereiche und verschiebt – teilweise subtil, teilweise knallhart – die Zusammenhänge und Machtverhältnisse zwischen Gesellschaft und Wirtschaft, zwischen Politik und Kultur. Und sie ordnet Systeme, auch große Systeme wie die Globalisierung, neu. So entsteht eine neue Weltordnung, eine Ära, die man provisorisch die Post-Corona-Ära nennen kann.“

Das bedeutet für Unternehmen und Konzerne aus der Krise zu lernen und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Die Entscheidung „Weiter so“ scheint dabei direkt aufs Abstellgleis zu führen. Die Pandemie hat die Bedeutung und Wichtigkeit stabiler wirtschaftlicher Prozesse in Unternehmen und Gesellschaften verdeutlicht. Aber sie verändert auch das Selbstbild der Gesellschaften, vor allem von Industriegesellschaften, die sich in der Vergangenheit für unverwundbar hielten. Die Corona-Pandemie führt zu Verunsicherung bei Mitarbeitern, Investoren und Kunden mit deutlichen Auswirkungen auf die Unternehmen. Wirtschaft lässt sich eben nicht einfach ab- und wieder anschalten. Jeder Motor braucht einen Schmierstoff, sonst läuft er nicht rund, stottert oder stellt seinen Betrieb ganz ein. Der Schmierstoff der Wirtschaft ist Vertrauen. Und das Vertrauen in Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes wird darüber mitentscheiden, wie die Welt nach der Pandemie aussieht.

Unternehmen müssen die Sinn-Frage stellen

Das bringt Unternehmen in eine neue Rolle. Sie müssen als gute Corporate Citizens Solidarität mit der Gesellschaft zeigen, sie müssen aber auch über die Kraft und Leistungsfähigkeit verfügen den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen und sie sollen Lösungen für gesellschaftliche Fragen anbieten. Wie schnell Unternehmen dabei in eine Falle tappen können, hat Adidas mit seiner Ankündigung, vorläufig die Mietzahlungen für seine Ladenlokale einzustellen, gezeigt. Hintergründe und Details, die zu dieser Entscheidung geführt haben, spielten keine Rolle. Das Urteil über unmoralisches nicht gesellschaftsfähiges Verhalten war sofort gefällt. Unternehmen können sich also nicht nur auf Milton Friedmans „The business of business is business“ beziehen.

Unternehmen müssen die Sinn-Frage stellen, forderte der Unternehmens-Philosoph Dominic Veken in seinem Buch „Der Sinn des Unternehmens“ und wollte damit den Blick über den reinen Unternehmenszweck hinaus öffnen. Nach Vekens Auffassung müssen sich Unternehmen mit Sinn-Fragen beschäftigen, wenn sie langfristig überleben wollen. Unternehmen brauchen eine klare Haltung. Doch davor scheinen sich zahlreiche Unternehmen wegzuducken und halten sich lieber alle Optionen offen. Das ist kein Weg für die Zukunft, ist sich Veken sicher und hat damit ein Prinzip beschrieben wie es schon seit einiger Zeit zu beobachten ist, das Prinzip Purpose.

Eine Unique Purpose Proposition entwickeln

Studien zeigen immer wieder, dass Konsumenten von Unternehmen und Marken einen aktiven Beitrag zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme erwarten, aber auch eine klare Haltung und Position zu gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen. Die Corona-Pandemie wird diese Entwicklung eher verstärken, erwartet der Unternehmensberater Frank Bömers und spricht deshalb sogar vom New Purpose. Aus der altbekannten Unique Selling Proposition (USP) müsse eine Unique Purpose Proposition (UPP) werden, ist Bömers überzeugt. Das ist weit mehr als schöne Worte in Hochglanz-Broschüren. Unternehmen die Purpose nur als Buzzword verstehen und mit schön klingenden PR-Floskeln mögliche Kritiker milde stimmen wollen, werden mit dieser Strategie scheitern. Purpose ist eine Haltung, die sowohl nach innen wie nach außen wirken muss, die Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen überzeugt. Bömers nennt das eine New Purpose Positionierung oder kurz Purposition.

Kritiker halten das häufig für esoterischen Nonsens und erwarten von Unternehmen in erster Linie sichere Arbeitsplätze, Gesetzestreue und hochwertige Produkte oder Dienstleistungen. Das Beispiel Tierwohl verdeutlicht, dass diese Haltung zu kurz greift. Unternehmen können mit Tierwohl werben, wenn sie die gesetzlichen Bestimmungen, oder die eines Labels einhalten. Das hat aber meist gar nichts damit zu tun, was Verbraucher unter Tierwohl verstehen. Purpose verlangt mehr, Purpose verlangt eine überprüfbare transparente Haltung, die Tierwohl lebt und umsetzt und nicht nur damit wirbt. Purpose beeinflusst also auch das Denken und Handeln eines Unternehmens und kann, um im Beispiel zu bleiben, das Tierwohl in der Landwirtschaft tatsächlich verbessern.

Großteil deutscher Unternehmen ist nicht „Purpose Ready“

Purpose braucht also Glaubwürdigkeit. Doch genau damit haben zahlreiche Unternehmen ein Problem. Ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist nicht immer die eines guten Corporate Citizen. Der Purpose Readiness Index der Kommunikationsagentur Globeone aus dem letzten Jahr kam deshalb auch zu einem klaren Urteil: Der Großteil deutscher Unternehmen ist nicht „Purpose Ready“. Das wollte Frank Bömers genauer wissen und hat im Vorfeld der Corona-Krise im Karrierenetzwerk Linkedin eine Umfrage mit dem Titel „Purpose – Status Quo in deutschen Unternehmen“ gestartet. Die 136 eingegangenen Antworten sind zwar nicht repräsentativ, aber sie können einen Einblick geben, was in den Unternehmen unter Purpose verstanden wird.

In 58 Prozent der befragten Unternehmen gibt es bereits ein Purpose Statement und 29,4 Prozent der Unternehmen arbeiten daran. Das ist oft nur ein Statement auf der Website (41,9 %), seltener im CSR-Report (11 %), aber längst nicht gelebte Unternehmenspraxis. Immerhin 33,8 Prozent gaben an, dass es in ihrem Unternehmen derzeit keine Purpose-Aktivitäten gäbe. Jedes 5. Unternehmen veranstaltet regelmäßige Workshops zum Thema und nur in 37 Prozent der Unternehmen gibt es überhaupt innerbetriebliche Purpose-Aktivitäten.

Auf die Frage nach dem Verständnis von Purpose, ist „Sinn“ mit 86,8 Prozent die meistgegebene Antwort. CSR (18,4 %) und Nachhaltigkeit (19,9 %) werden deutlich seltener genannt. Das lenkt etwas von der Schwäche dieses Begriffs ab, der einerseits viel Deutungsspielraum ermöglicht, andererseits oft nur Fragezeichen hinterlässt. Scheint auf jeden Fall etwas Gutes zu sein, das wird auch bei den Antworten zu einer offenen Frage deutlich, die Bömers in seiner Umfrage gestellt hat. Es ging darin um die Vorteile eines Purpose getriebenen Geschäftsmodells. Zu den häufigen Antworten gehört die Bindung der Mitarbeiter und Kunden an das Unternehmen durch ein gemeinsames sinnstiftendes Ziel.

Es geht um das „Big picture“

Sichtbares Zeichen eines unternehmerischen Sinns ist das Purpose Statement. Ist das nicht einfach nur alter Wein in neuen Schläuchen, schließlich sind Mission-Statements für Unternehmen nichts Neues? „Nein“, sagt Frank Bömers. „Ein Purpose Statement ist die Headline über eine gute Geschichte“. Mission Statements sind oftmals nur Marketingprojekte ohne Wirkung ins Unternehmen. Purpose Statements sollten für Bömers das Gegenteil sein. Sie entwickeln sich aus der Geschichte des Unternehmens und binden die Mitarbeiter, aber auch andere Stakeholder, in ihren Entstehungsprozess mit ein. Es geht um das „Big picture“, sagt Bömers.

Ein Purpose Statement zeigt, wofür ein Unternehmen steht, wo es herkommt, wohin es will und es zeigt den Nutzen für die Gesellschaft. Außerdem sollte es einfach und verständlich formuliert sein, um seine Wirkung im und für das Unternehmen entfalten zu können. Damit ein Purpose Statement mehr ist als ein glattgebügelter PR-Claim gehören Authentizität und Transparenz unbedingt dazu. Nur dann wird der Unterschied zwischen Unternehmenszweck und Sinn des Unternehmens deutlich.

Die nächsten Monate und vielleicht sogar Jahre werden zeigen, was Gesellschaft und Wirtschaft tatsächlich aus der Corona-Krise gelernt haben. Unternehmen und ihre Mitarbeiter werden zunehmend unter Druck geraten, werden die wirtschaftlichen Folgen zu spüren bekommen und müssen dennoch einen positiven Weg in die  Zukunft weisen. Wer jetzt den eigenen Profit gegen Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Nutzen stellt, wird sicher nicht als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Wer aber in flotten Claims die Weltrettung ankündigt und dann nur Business as usual betreibt wird ebenso wenig zu den Gewinnern gehören. „Gewinner werden die Unternehmen sein, die über ein profitables Geschäftsmodell verfügen, die einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten und für die Nachhaltigkeit zum Geschäftsprinzip gehört“, ist Bömers überzeugt. Kurz: Unternehmen mit Sinn.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf csr-reporter.de.

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein