Einige gezielte Schläge mit dem Holzknüppel, oder einer Machete, und schon gibt die dunkelgelbe, leicht orange schimmernde Schale nach und ihr Inneres frei. Zum Vorschein kommt ein traubenförmiges Gebilde dutzender, 3–4 cm langer Kerne, die von einer weißlichen, etwas gliberigen, fruchtig schmeckenden Masse (Pulpa genannt) umhüllt sind. An Schokolade erinnert jetzt noch gar nichts.
Ich treffe Achim Drewes am Flughafen Charles de Gaulles in Paris. Drewes ist Public Affairs Manager bei Nestle in Deutschland. Er organisiert und koordiniert dort unter anderem den Stakeholderdialog und ist meist erster Ansprechpartner für alle Fragen rund um Nestles Nachhaltigkeitsprogramm Creating Shared Value. Wir wollen gemeinsam die Kakaoplantagen der Elfenbeinküste besuchen und uns davon überzeugen, ob Nestle mit seinem Cocoa- Plan tatsächlich die beabsichtigen Ziele erreicht. Mit dabei ist Volker Kromrey von der NGO Bodensee-Stiftung, der seinen Blick vor allem auf die Biodiversität in den Plantagen richten wird.
Kleinbäuerliche Strukturen prägen den Anbau
Der erste starke Eindruck in der Elfenbeinküste ist das Klima. Die momentane Regenzeit sorgt für Luftfeuchtigkeit zwischen 80 und 90 Prozent bei Temperaturen um die 30 Grad. Erstmal nichts für mitteleuropäische Gemüter, aber genau die richtige Umgebung für Kakaopflanzen. Der weltweite Kakaoanbau findet ausschließlich in den tropischen und subtropischen Regenwäldern statt. Damit bietet die Elfenbeinküste optimale Bedingungen, auch wenn die Pflanze dort nicht heimisch ist. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Nachfrage nach Schokolade in Europa immer weiter stieg, wurde der Kakao durch die Kolonialmächte in Westafrika eingeführt. In Ghana und der Elfenbeinküste entwickelten sich kleinbäuerliche Strukturen mit schnell steigenden Produktionsmengen.
Heute gibt es in der Elfenbeinküste rund 800.000 kleinbäuerliche Betriebe, die meist nicht mehr als drei Hektar Land bewirtschaften. Zu wenig, um davon ein angemessenes Einkommen zu beziehen. Laut Cocoa-Barometer 2015 leben die Kakaobauernfamilien in der Elfenbeinküste durchschnittlich von rund 0,50 US-Dollar pro Kopf und Tag – deutlich unter der Armutsgrenze. Einer der Gründe ist die unzureichende Bewirtschaftung der Plantagen. Die Pflanzen sind häufig zu alt und krankheitsanfällig. Doch solange sich noch Früchte ernten lassen, verzichten die Bauern auf neue Pflanzen, akzeptieren damit aber auch geringere Ernten.
Ein Problem nicht nur für die Farmer, denn die Nachfrage nach Kakao, vor allem aus zertifiziertem Anbau, kann durch das Angebot kaum gedeckt werden. Nahezu alle großen Schokoladenhersteller in Europa haben sich umfangreiche Nachhaltigkeitsziele gesetzt und investieren in entsprechende Programme. Dabei haben sie vor allem auch ihre eigenen Interessen im Blick. Sollte es in absehbarer Zeit wirklich zu spürbaren Einbußen beim Export kommen, würde dies zwangsläufig auf das eigene Geschäftsmodell durchschlagen. Doch eine Trendwende lässt sich nicht einfach verordnen. Zudem bleibt auf den Farmen der Nachwuchs aus. Die jungen Leute versuchen ihr Glück lieber in Abidjan, dem Wirtschaftszentrums Westafrikas, als für karge Löhne und viel Arbeit weit ab im Hinterland ein Leben voller Entbehrungen zu führen. Nur selten kehren sie zurück mit der Absicht Kakaobauer zu werden. Khofi ist einer von denen die es gewagt haben. Sein Abenteuer Abidjan hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Er ist zurück in sein Dorf und hat sich mit Unterstützung durch eine Kooperative erfolgreich der Herausforderung gestellt. Inzwischen ist er überzeugter Kakaofarmer und betreibt eine Plantage mit Vorbildcharakter.
Für den Massenmarkt braucht es verlässliche Mengen und Beständigkeit
„In Deutschland beziehen wir inzwischen unseren gesamten Kakaobedarf aus dem Cocoa-Plan und alle Produktionsstätten sind UTZ-zertifiziert“, sagt Achim Drewes. Die nicht im deutschen Stammwerk in Hamburg produzierten Saisonwaren werden ab diesem Jahr einbezogen. Rund 380.000 Tonnen Rohmaterial benötigt der Konzern pro Jahr um daraus Produkte wie Kitkat oder Smarties herzustellen. Rund die Hälfte davon kommt aus der Elfenbeinküste. „Der Kakao, den wir von dort beziehen hat eine solide Qualität“, so Drewes. Um Schokoriegel für den Massenmarkt zu produzieren braucht es keinen Edelkakao, eher Beständigkeit und verlässliche Mengen. Die will Nestle unter anderem mit dem Cocoa-Plan sicherstellen und hat dafür Investitionen von 110 Millionen Schweizer Franken bis zum Jahr 2020 in Aussicht gestellt. „Wir sind an langfristigen Lösungen interessiert“, sagt Drewes, „Für uns und für die Bauern“. Dafür verfolgt der Plan wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele. Nestle will den Bauern ermöglichen ertragreicher zu wirtschaften. Das ist die Basis für höhere Einkommen und bessere Lebensbedingungen.
Nestle, Kakaoanbau und Elfenbeinküste, ein Dreiklang, der bei etlichen Verbrauchern Unbehagen hervorruft. Kaum eine andere Anbauregion wird so eng mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht wie die Elfenbeinküste. Dafür hat unter anderem der Film „Schmutzige Schokolade“ des dänischen Filmemachers Miki Mistrati gesorgt. Nestle geriet auch ins Visier und musste sich unbequeme Fragen stellen lassen. Eine unangenehme Situation, erinnert sich Drewes, „Wir waren bei diesem Thema noch nicht sprechfähig“. Das konnte und sollte nicht so bleiben. Der Cocoa-Plan stand damals noch am Anfang, aber mit ihm sollte nicht nur die Sprechfähigkeit zurückkommen, sondern auch die schlimmen Formen der Kinderarbeit beseitigt werden.
Nathan Bello ist Nestles Mann vor Ort. Er leitet ein fünfköpfiges Agronomen-Team, dessen Aufgabe es ist, die mittlerweile über 70 Partnerkooperativen zu betreuen und dafür zu sorgen, dass die Bauern in guter Agrarpraxis ausgebildet werden. Nathan ist ein Überzeugungstäter, der sein Handwerk bei Fairtrade gelernt hat. „Nestle hat mich praktisch inmitten einer Plantage abgeworben“, erzählt er, nicht ganz ohne Stolz. Leute wie Nathan braucht es, um die Farmer vom Sinn des zertifizierten Anbaus und den Vorteilen des Cocoa-Plans zu überzeugen. „Ich hätte auch in Europa leben können, so wie viele meiner Freunde“, sagt er und fügt gleich hinzu: „Doch da braucht man mich nicht. Hier kann ich etwas bewegen. Wir müssen Afrika entwickeln“. Es scheint genau diese Haltung zu sein, die die Farmer und Mitarbeiter in den Kooperativen spüren und ihn deshalb schätzen. Dabei ist Nathan kein Schönredner, er fordert in klaren Worten Gegenleistungen. Step by Step ist seine Maxime und die muss er von den Farmern immer wieder neu einfordern.
Den ersten Schritt macht Nestle und schult die Farmer in modernen Agrarpraktiken, um ihre Erträge zu erhöhen. In den sogenannten FarmerField Schools lernen sie wie die Plantage beschaffen sein muss. In einem Kreis aus Plastikstühlen inmitten einer Plantage finden die Schulungen statt. Hier lernen die Farmer unter anderem, wie wichtig die Bepflanzung mit Schattenbäumen ist, also Bäume die höher sind als die empfindliche Kakaopflanze und diese vor direkter Sonneneinstrahlung schützen. Doch oftmals werden die vorhandenen Schattenbäume gefällt und das Holz für die Feuerstätten genutzt. Zudem sollten die Plantagen umrahmt sein, beispielsweise mit Bananenstauden. Ein zusätzliches Nahrungsmittel und die großen Blätter lassen sich bei der späteren Fermentierung nutzen. Und auch der richtige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist Gegenstand der Schulungen.
Moderne Pflanzen steigern den Ertrag
Von großer Bedeutung ist zudem die Qualität der Kakaopflanze. Seit 2009 unterhält Nestle ein eigenes Forschungszentrum in der Elfenbeinküste. Die dort entwickelten Setzlinge werden den Farmern kostenlos zur Verfügung gestellt. Wichtig ist dabei die Mischung verschiedener Sorten, um bei etwaigem Krankheits- oder Schädlingsbefall nicht die komplette Ernte zu verlieren. Diese verbesserten Setzlinge ermöglichen den Farmern ihre Ernteerträge, um das Dreifache zu steigern und entsprechend höhere Einkommen zu erzielen. Kommen dann noch die Mehreinnahmen durch die Zertifizierung dazu, lassen sich die Lebensumstände in den Dörfern langsam, aber stetig verbessern. Und auch der Staat sorgt inzwischen durch die Zahlung eines Mindestpreises, angepasst an den steigenden Weltmarktpreis, für mehr Stabilität.
Mit den zusätzlichen Geldern werden dann beispielweise Schulen betrieben. Bis zum 12. Lebensjahr sollen die Kinder in die Schule gehen, doch die ist oft weit entfernt. Damit trotzdem unterrichtet werden kann, müssen die Schulen in den Dörfern sein. Auch hier gilt das Prinzip des Step by Step. Nestle unterstützt beim Aufbau eines Schulgebäudes, doch den Betrieb müssen die Einwohner selbst bewerkstelligen. Nicht immer einfach Lehrer von einem Leben in den abgelegenen Regionen zu überzeugen. Ein eigenes Haus ist dann eine der Minimalanforderungen. Um auch sicherzustellen, dass die Kinder nicht doch auf den Plantagen arbeiten, ernennen die Kooperativen Beauftragte für Kinderarbeit, die für die Umsetzung bei den Mitgliedern sorgen und regelmäßig an die Zertifizierer berichten. Nach welchen Kriterien dabei vorgegangen wird, ist allerdings nicht immer ersichtlich.
Tägliche Überzeugungsarbeit
Eines wird auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste deutlich. Die in Deutschland veröffentlichten Zahlen in einem Nachhaltigkeitsbericht sind das Resultat einer ganzen Reihe von Menschen, die mit viel Einsatz die Idee des fairen, gleichberechtigten und nachhaltigen Handels umsetzen. Es beginnt mit dem Commitment des Top-Managements, über engagierte Mitarbeiter vor Ort und in den Kooperativen. Und es sind einzelne Farmer oder Bewohner der Dörfer, die ihr Wissen weitertragen und dafür sorgen, dass noch mehr Menschen davon profitieren. „Es ist tägliche Überzeugungsarbeit“, sagt Nathan Bello. Deshalb ist er auch lieber unterwegs bei den Kooperativen und in den Plantagen als in seinem Büro in Abidjan. Denn Schwierigkeiten gibt es genug. Da ist die Kooperative, die in guten Jahren zu üppig investiert hat und nun den Kapitaldienst für leerstehende Gebäude leisten muss. Da gibt es den Farmer der, weil er gerade Geld braucht, an denjenigen verkauft, der am schnellsten auf seiner Farm ist und das ist nicht immer die Kooperative. Da werden Kakaobohnen, die für den Export zu klein sind, in Nachbarländer verkauft und landen dann doch wieder auf dem Weltmarkt. Aber es gibt auch die Entwicklung zu höherer Professionalität. Inzwischen werden große Mengen des Kakaos in Abidjan weiterverarbeitet und somit weitere Wertschöpfungsstufen im Land gehalten. Und welches Fazit zieht Achim Drewes? „Es ist gut zu sehen, wie die Dinge in Bewegung kommen und sich die Lebensumstände der Menschen verbessern“, sagt er. „Aber, man sieht auch noch jede Menge Arbeit“.
Der Beitrag wurde zuerst im CSR-Magazin veröffentlicht.