Don’t Buy This Jacket! Als im November 2011 eine großformatige Anzeige in der New York Times davon abriet das beworbene Produkt zu kaufen, war dem Urheber, das kalifornische Unternehmen Patagonia, die Aufmerksamkeit gewiss. Marketing-Experten sprachen von brillant oder einem genialen Schachzug. Denn der Outdoor-Ausrüster Patagonia setzte nicht nur auf Effekthascherei, sondern lieferte die Begründung gleich mit. Trotz aller Bemühungen, heißt es in der Anzeige, sei die Umweltbelastung jedes Produktes erheblich. Allein für die Herstellung der abgebildeten Jacke würden 135 Liter Wasser benötigt und es würden fast 9 Kilogramm CO2 verursacht. Außerdem würde der produzierte Abfall rund zwei Drittel des Gewichts der Jacke entsprechen, obwohl sie nach höchsten Qualitätsnormen aus 60 Prozent Recycling gefertigt sei. „Doch wie bei allen Dingen, die wir herstellen und die Sie kaufen, ist der Preis für die Umwelt höher als der Ladenpreis“, lautete der Schlusssatz der Anzeige.
Selten wird der eigene Nachhaltigkeitsanspruch eines Unternehmens so konsequent vom Marketing aufgegriffen und umgesetzt – und das mit Erfolg. Denn trotz der offensichtlichen Konsumkritik, war die Aktion erfolgreich und führte zu steigenden Umsätzen. Dabei meint es Patagonia ernst. Die erklärte Absicht ist es, dass die Kunden Ihre Produkte so lange wie möglich nutzen sollen. In einer Zeit, in der Textilien zu Wegwerfartikeln werden, mutet der Anspruch fast archaisch an. Doch Patagonia hat diesen Anspruch längst zum Geschäftsprinzip erhoben und mit dem „Worn Wear Programm“ alltagstauglich gemacht. Im amerikanischen Reparaturwerk des Unternehmens werden jedes Jahr mehr als 45.000 Kleidungsstücke wieder repariert. Zudem wurden weltweit Reparaturstationen aufgebaut, wo die Kunden die Lebensdauer ihrer Jacken und Hosen verlängern lassen können. Reparieren sei ein fundamentaler Akt, betont Patagonia-CEO Rose Marcario immer wieder. In diesem Jahr wurde das Unternehmen, während des Weltwirtschaftsforums in Davos, dafür mit dem „Accenture Strategy Award for Circular Economy Multinational“ ausgezeichnet. Dabei sei man noch ganz am Anfang, hätte gerade erst die Oberfläche der Möglichkeiten eines Kreislaufmodells angekratzt, sagte Ryan Gellert, Europa-Chef von Patagonia bei der Auszeichnung.
Fehlende Transparenz
Patagonia ist mit diesem Konzept erfolgreich, hat sich bei den Konsumenten ein Vertrauen als nachhaltige Marke aufgebaut. Doch ist tatsächlich begründet, was auf den ersten Blick scheint? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die niederländische Organisation „rank a brand“. Sie schauen was hinter den Nachhaltigkeitsversprechen bekannter Marken steckt. Patagonia wird von ihnen mit einem C (Stand 2015) bewertet, also einer mäßigen Bewertung, allerdings gleichauf mit vielen weiteren Outdoor-Marken. Die Gründe liegen nicht im mangelhaften Nachhaltigkeitsengagement, sondern vielmehr in der teilweise fehlenden Transparenz, beispielsweise zur Klimabilanz.
Nachhaltigkeit ist für Marketingabteilungen wieder attraktiv
In deutlichen Worten auf die Schwachstellen des eigenen wirtschaftlichen Handelns hinweisen, käme sicher nur wenigen Markenherstellern in den Sinn. Doch es ist genau dieses Spannungsfeld, in dem sich Nachhaltigkeitsmarketing bewegt. Nachhaltigkeitsmarketing wird immer auch als eine Art Fortsetzung oder Weiterentwicklung des Ökomarketings verstanden, so wie es in den 1990er-Jahren verbreitet war. Öko ohne Inhalt, Schein statt Sein, kennzeichnen diese Phase. Und es fehlte noch ein breites, kaufbeeinflussendes Bewusstsein der Konsumenten. So verloren Marketingabteilungen das Interesse an Nachhaltigkeit und widmeten sich vielversprechenderen Themen. Nachhaltigkeit wurde eher zum Thema der Unternehmenskommunikation. Doch das ändert sich gerade: „Nachhaltigkeit ist heute, nach längerer Durststrecke, für die Marketingabteilungen wieder attraktiv“, sagt Norbert Taubken, Business Direktor bei Scholz&Friends Reputation in Berlin. Nicht zuletzt, weil immer mehr Verbraucher fair und ökologisch hergestellte Produkte bervorzugen. Taubken hat mit seinem Team einen „Nachhaltigkeitssensor“ entwickelt, mit dem Marketingabteilungen Stärken und Schwächen ihrer Produktmarken identifizieren können. Ziel ist ein Produktmarketing mit glaubwürdigen Nachhaltigkeitsbotschaften.
Markenversprechen müssen überprüfbar sein
Genau an dieser Stelle liegt der Schlüssel für erfolgreiches Nachhaltigkeitsmarketing. Das zeigen auch die Ergebnisse des jährlich, von der Agentur Serviceplan, veröffentlichten „Sustainablity Image Score (SIS)“. Mit dem SIS wird sichtbar, wie sich Nachhaltigkeit auf das Image von Unternehmen auswirkt und mit welcher Kaufbereitschaft die Konsumenten dem folgen. Dabei werden alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit betrachtet, vom verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, über faire Geschäftspraktiken bis zur wahrgenommenen gesellschaftlichen Verantwortung. Die letzte Untersuchung aus dem Jahr 2016 bestätigt die zunehmende Verbindung von Produkt und Nachhaltigkeitsimage. Die Konsumenten urteilen sensibler. Markenversprechen und eigene Wahrnehmung müssen übereinstimmen. Authentizität wird zum beherrschenden Thema im Nachhaltigkeitsmarketing, zumal, so ein Ergebnis, Nachhaltigkeit zunehmend dem Produkt zugeordnet wird. „Erkennbar ist womöglich eine erste Tendenz, dass einige Nachhaltigkeitsaspekte nicht mehr separat bewertet werden, sondern der Produktqualität zugerechnet werden“, heißt es im 2016-er SIS-Ranking. Das Problem dabei: Erfolgreiche Nachhaltigkeitsbemühungen werden von den Konsumenten zwar goutiert, Verfehlungen aber umso gravierender bestraft. Die Kunden würden genau beobachten, welche Haltungen ein Unternehmen vertritt und wie es diese kommuniziert. Bedeutet: An erster Stelle steht ein konsequentes Nachhaltigkeitsengagement und erst an zweiter Stelle die Kommunikation darüber. Patagonia hat im 2016er-SIS-Ranking übrigens den vierten Platz belegt.
Nachhaltigkeitsbotschaften mit Fakten belegen
Eine der Grundweisheiten im Produktmarketing fordert ein klares Markenprofil. Nur so kann die Markenbotschaft beim Kunden ankommen. Doch das ist leichter gesagt als getan, insbesondere wenn die Markenbotschaft Nachhaltigkeitsaspekte enthält. „Nachhaltigkeitseigenschaften werden oft ohne inhaltliche Fundierung eingesetzt“, sagt Norbert Taubken. Das birgt Risiken, denn wahllose Botschaften, abgegriffene Claims oder beliebige Siegel zahlen nicht auf eine Marke ein, können, im Gegenteil, sogar deren Glaubwürdigkeit beschädigen. Vor allem wenn die Botschaft keiner Überprüfung standhält. Denn es sind nicht nur kritische Verbraucher, die Nachhaltigkeitsbotschaften in Frage stellen. Vor allem NGOs schauen genau hin und scheuen auch vor öffentlichkeitswirksamen Kampagnen nicht zurück. Zahlreiche Unternehmen mussten diese Erfahrung schon machen. Verhindern lässt sich das nur, wenn Nachhaltigkeitsbotschaften mit Fakten belegbar sind, ist Norbert Taubken überzeugt. Deshalb rät er Unternehmen auch auf Kritik vorbereitet zu sein.
Für manche Marketingabteilung eine Herausforderung, bedeutet es doch, ein Verständnis für die besonderen Anforderungen der Nachhaltigkeitskommunikation zu entwickeln. Die findet auf zwei Ebenen statt, mit unterschiedlichen Adressaten. „Marktorientierte Kommunikation richtet sich an Verbraucher“, so Taubken. „Sie muss notwendigerweise das komplexe Thema Nachhaltigkeit abstrahieren und vereinfachen, darf aber nicht verfälschen.“ Im Gegensatz dazu die Corporate Communication, die sich an Meinungsbildner richtet – Medien, Investoren, NGOs, Politik und Verbände. Taubken: „Auf dieser Ebene müssen Unternehmen zwingend Transparenz zeigen und differenzieren.“ Zwei Aspekte die in der marktorientierten Produktkommunikation kaum geleistet werden können. Dieser Spagat ist die neue Aufgabe für das Nachhaltigkeitsmarketing, denn beide Kommunikationsformen bedingen einander. Taubken: „Ich kann nur davor warnen, irgendeinen Nachhaltigkeitsaspekt herauszugreifen und für das Marketing zu verwenden.“ Es reicht heute nicht mehr aus, einem Produkt einen „grünen Aufkleber“ anzuheften.
Stärken und Schwächen der einzelnen Produkte kennen
An dieser Stelle setzt der Nachhaltigkeitssensor an. Er soll helfen, die Produkte zu identifizieren, die sich für ein nachhaltigkeitsorientiertes Produktmarketing eignen. „Die beste Nachhaltigkeitsaussage lässt sich aus einem Produkt ableiten“, so Taubken. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, Stärken und Schwächen der einzelnen Produkte zu kennen. Nur wenn sich die Nachhaltigkeitsperformance belegen lässt, also auch kritischen Nachfragen standhält, ist ein Produkt für das Nachhaltigkeitsmarketing geeignet. Weist die Performance vereinzelt Schwächen auf, die kurzfristig verbessert werden können, kommt ein Produkt als Aspirant in Frage. Ist eine Nachbesserung in kurzer Zeit nicht möglich, sollten Unternehmen diese Produkte nicht für das Nachhaltigkeitsmarketing auswählen. „Die entscheidende Währung ist die Glaubwürdigkeit“, so Taubken. Für Experten bedeutet das vor allem Transparenz, bei Kunden entsteht Glaubwürdigkeit dagegen durch Kontinuität. Taubken nennt das intuitive Glaubwürdigkeit. Produktbotschaft und die eigene Wahrnehmung müssen im Einklang sein – genau der Aspekt der durch den SIS bestätigt wird.
Möglichst tief in die Wertschöpfungskette blicken
Damit das gelingen kann, muss die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts auf den Prüfstand. „Es reicht nicht einzelne Aspekte zu betrachten“, so Taubken. „Denn nur wenn alle Aspekte berücksichtigt sind, kann ein Produkt eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsbotschaft vermitteln.“ Unternehmen sollten also möglichst tief in die Wertschöpfungskette blicken. Woher stammen die Rohstoffe? Nach welchen Standards arbeiten meine Zulieferer? Welche Klimabelastung wird durch die Logistik verursacht? Lassen sich diese Punkte beantworten und belegen, können sie auch kritischen Nachfragen standhalten. Der Nachhaltigkeitssensor hält Marketingabteilunge dazu an, das Thema Nachhaltigkeit in der ganzen Breite zu erfassen. Taubken: „Dabei wird man schnell feststellen, an welchen Stellen ein Unternehmen bereits gute Resultate vorweisen kann und wo man sich noch ‚auf dem Weg‘ befindet.“
Diese Punkte, die vereinbarten Ziele und Maßnahmen lassen sich auf der Unternehmensebene auch kommunizieren, um die Informationsbedürfnisse der Experten zu erfüllen. Auf der Ebene der verbraucherorientierten Produktkommunikation gelingt dies nicht. Taubken: „Dafür muss genau selektiert werden, an welcher Stelle man welche Form von belegbaren Aussagen treffen kann“. Der Nachweis, beispielsweise für interessierte Kunden, findet dann auf einer zweiten Kommunikationsebene statt.
Das Nachhaltigkeitsmarketing muss also mindestens drei Kommunikationsebenen bedienen. Gegenüber Experten braucht es Detailinformationen, etwa in Form eines Nachhaltigkeitsberichts, für interessierte Konsumenten die allgemeinverständliche Aufarbeitung des Komplexen. In der direkten Produktkommunikation ist dann Einfachheit – allerdings ohne Belanglosigkeit – von zentraler Bedeutung.
Doch wie reduziert man ein komplexes Thema, wie es Nachhaltigkeit zweifelslos ist, ohne dabei in stereotype Produktbotschaften wie grün, fair, regional oder ähnliches zu verfallen. „Versuchen sie in Aktivierung zu denken“, rät Norbert Taubken. Wenn es gelingt, Kunden mit auf den Weg zu nehmen, um beispielsweise gemeinsam einen Beitrag für die Reduzierung des CO2-Ausstosses zu leisten, sei dies ein großer und wirksamer Hebel für erfolgreiches Nachhaltigkeitsmarketing. „Die Frage ist also, mit welchen Themen man seine Kunden erreichen, vielleicht begeistern und zum Mitmachen bewegen kann.“
Aus bitterer Erfahrung gelernt
Schon seit langer Zeit geht die Brauerei Krombacher diesen Weg und hat damit die ganze Bandbreite möglicher Erfahrungen gesammelt. 2002 mit dem Regenwaldprojekt ging man noch baden. „Saufen für den Regenwald“ wurde innerhalb kurzer Zeit zum unfreiwilligen Claim und damit verbunden der Vorwurf des Greenwashing. Selbst die Werbeaussage „Ein Kasten Bier für einen Quadratmeter Regenwald“ bestand die Prüfung vor dem Oberlandesgericht Hamm nicht. Und auch die üppigen Honorare für Testimonial Günther Jauch befeuerten den Greenwashing-Vorwurf. Tatsächlich hatte Krombacher den Vorwürfen anfangs wenig entgegenzusetzen – doch im beschaulichen Kreuztal hat man schnell dazugelernt.
Inzwischen hat Krombacher seine Hausaufgaben gemacht und veröffentlicht regelmäßig einen Nachhaltigkeitsbericht. Dem Regenwaldprojekt folgte 2011 das Klimaschutzprojekt mit etwas anderer Ausrichtung. Zwar kooperiert man wieder mit dem WWF, verzichtet aber auf die Koppelung mit dem Abverkauf der Getränke. Die kam beim inzwischen dritten Projekt wieder zum Einsatz. Ein Kasten Bier für einen Quadratmeter Heimat hieß die Losung für den viermonatigen Aktionszeitraum des Artenschutzprojekts. Gemeinsam mit WWF, Deutscher Umwelthilfe und NABU sollte der heimische Artenschutz unterstützt werden. Unabhängig vom Verkauf mit mindestens 1,5 Millionen Euro – tatsächliche kamen mehr als 1,8 Millionen Euro zusammen. Krombacher ist es gelungen, die Marke mit Nachhaltigkeitsaspekten aufzuladen und selbst Kritiker zu besänftigen. Immerhin leistet die aus dem Regenwaldprojekt hervorgegangene Stiftung (3,7 Millionen Euro Stiftungskapital) bis heute aktive Naturschutzarbeit in Afrika.
Während sich viele Unternehmen nach den bitteren Erfahrungen vermutlich lautlos aus dem Projekt zurückgezogen hätten, setzte Krombacher auf das Gegenteil und machte sich „auf den Weg“. Heute kann man entscheidende Fortschritte in der eigenen Wertschöpfungskette vorweisen. Sicher ist Krombacher immer noch kein Nachhaltigkeitspionier, aber innerhalb der Branche längst zum Vorreiter geworden. Das goutieren Verbraucher ebenso wie Kritiker.
Eine solche Kehrtwende im Denken und Handeln erfordert das Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure. Hier liegt eine Zukunftsaufgabe für die Marketingabteilungen, sie müssen in den Unternehmen die Silos einreißen. „Holen Sie sich die im Unternehmen vorhandene Kompetenz ins Boot“, rät Norbert Taubken. Doch diese Kultur des Mitdenkens anderer Kompetenzbereiche gibt es beim Thema Nachhaltigkeit noch nicht. „Da muss noch ein Lernen stattfinden“, so Taubken. „Aber wir werden in den nächsten Jahren Unternehmen sehen, die damit erfolgreich sind und das wird zu Nachahmer-Effekten führen.“
Dier Text wurde zuerst im CSR-Magazin veröffentlicht.