Es ist jetzt knapp zwei Jahre her, da stand mitten auf dem Berliner Alexanderplatz ein grüner Automat. Für nur 2 Euro konnten sich Interessierte mit einem neuen T-Shirt eindecken. Schnäppchenjäger ließen nicht lange auf sich warten und warfen ein Geldstück ein. Doch statt des angepriesenen T-Shirts schlug der Automat auf einem Display vor: „Meet Manisha“. Manisha war in diesem Fall ein Mädchen – stellvertretend für die vielen Arbeiterinnen in den Textilfabriken Bangladeschs – die für wenig Geld unter schlimmsten Bedingungen das T-Shirt produziert hat. Im Anschluss an den Film wurden die Käufer gefragt, ob sie immer noch am T-Shirt interessiert sind, oder die 2 Euro lieber spenden wollten. Die Idee stammte von der Organisation „Fashion Revolution“, die immer wieder mit spektakulären Aktionen auf die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie aufmerksam macht. Bei den renommierten Red Dot Design Awards wurde das, gemeinsam mit der Werbeagentur BBDO durchgeführte Projekt gleich mehrfach, unter anderem in der Kategorie „Social Responsibility“, ausgezeichnet.
Dies ist die eine Seite, mit der Verbraucher zu verantwortlicherem Konsum angehalten werden können. NGOs setzen gerne auf solche Maßnahmen, die einerseits wachrütteln, andererseits informieren. Für Unternehmen sind sie eher ungeeignet. Sie müssen versuchen, nachhaltigen Konsum ohne erhobenen Zeigefinger zu fördern. Denn nachhaltiger Konsum umfasst weit mehr als Billigshirts oder Gen-Tomaten. Entsprechend unterschiedlich sind die Zugangswege. So achten beispielsweise fast dreiviertel der Konsumenten in Deutschland auf Energieeffizienz, wenn sie sich ein Haushaltsgerät kaufen. Sicher stehen dabei nicht nur Umweltaspekte im Vordergrund, aber auch Geld sparen kann ein Weg zu nachhaltigerem Handeln sein. In diesem Beispiel hat vor allem die Politik durch verpflichtende Kennzeichnungen den Weg geebnet.
Nachhaltiger Konsum soll Mainstream werden
Und die Politik ist es auch, die den nachhaltigen Konsum vorantreiben will. So hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr ein „Nationales Programm für nachhaltigen Konsum“ ins Leben gerufen und auch in die neue Nachhaltigkeitsstrategie hat das Thema Einzug gehalten. Auf internationaler Ebene sind es vor allem die Sustainable Development Goals, die im nachhaltigen Konsum, adressiert mit dem Ziel 12, einen wichtigen Baustein für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft sehen. Das verdeutlicht einen zentralen Zusammenhang: Der Preis den wir in der Regel für unsere Produkte bezahlen, entspricht nicht dem realen Wert der Ware – die Kosten werden externalisiert. Die Berücksichtigung dieses Aspekts ist Voraussetzung um Konsum als nachhaltig zu bezeichnen. Für die Bundesregierung und ihrem Aktionsplan bedeutet dies, die entsprechende Kompetenz der Verbraucher zu steigern, gleichzeitig aber die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am nachhaltigen Konsum zu ermöglichen. Nachhaltiger Konsum soll aus der Nische geholt und Mainstream werden, so das erklärte Ziel. Mobilität, Ernährung, Wohnen und Haushalt, Büro und Arbeit, Bekleidung sowie Tourismus und Freizeit sind die Konsumbereiche, in denen dabei das größte Potenzial gesehen wird, das Ziel auch zu erreichen.
Doch noch sind wir vom Mainstream weit entfernt. Selbst scheinbar positiven Entwicklungen, die ein Umdenken erahnen lassen, geht manchmal die Luft aus. So wurde beispielsweise in den vergangenen Jahren ein zunehmender Trend zur vegetarischen oder veganen Ernährung erkennbar. Vor allem die stetig steigenden Verkaufszahlen fleischloser Ersatzprodukte wurden als Indikator betrachtet. Doch damit ist nun Schluss, wie eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Dezember letzten Jahres zeigt. Die Verkaufszahlen brachen signifikant ein und sind inzwischen sogar rückläufig. Nur wenige Wochen später wird eine Studie des VEBU (Vegetarierbund Deutschland) veröffentlicht, die das Gegenteil behauptet. Der Bedarf sei groß, wachse stetig und die bestehenden Angebote würden die Nachfrage noch lange nicht decken. Die Gründe für die rückläufigen Verkaufszahlen könnten beispielsweise in Testergebnissen liegen, die den Fleischersatzprodukten teilweise schlechte Qualität und erhebliche Verunreinigungen bescheinigten. Die GfK vermutet andere Gründe. So blieben viele Verbraucher Einmalkäufer, weil sie vom Produkt nicht überzeugt sind. Dennoch sei in den Zahlen auch ein Trend zu erkennen. Die Konsumforscher sehen nämlich schon ein vorhandenes Bedürfnis der Verbraucher nach Alternativen zur Massentierhaltung. Doch eine Abkehr vom Billigfleisch bedeutet nicht zwingend eine Zuwendung zur vegetarischen Ernährungsweise.
Consumer Confusion beeinflusst das Kaufverhalten
Dieses kleine Beispiel zeigt schon die Komplexität nachhaltigerer Konsumentscheidungen. Am Ende bleiben unter Umständen irritierte Verbraucher zurück, die in ihren alten Kaufmustern verharren. Diese Verhaltensmuster zu durchbrechen, stellt sicher die größte Herausforderung bei der Förderung nachhaltigen Konsums dar. Denn der viel größere Teil der Konsumenten hat zunächst gar keine Affinität zu nachhaltigen Produkten, oder setzt diese nicht in entsprechende Handlungen um. Gründe können in der Preisgestaltung liegen, an fehlenden Informationen oder dem Gegenteil, einem Zuviel an Informationen – es fehlt dann die Orientierung. Forscher nennen das Consumer Confusion und die kann erheblichen Einfluss auf das Kaufverhalten haben und ein großes Hemmnis für nachhaltigen Konsum sein.
Die Wissenschaftlerin Anja Buerke von der HHL Leipzig hat diesen Zusammenhang, der dann Eco Confusion heißt, in einer Studie untersucht. Eco Confusion führt zum Abbruch oder Aufschub von Kaufentscheidungen, so eine der Erkenntnisse. Gründe für die Verwirrung können beispielsweise die zahlreichen Siegel sein. Sie erhöhen eben nicht nur die beabsichtigte Transparenz, sondern verunsichern die Verbraucher. Diese Verunsicherung wird noch gesteigert, wenn gleich mehrere Siegel auf einem Produkt haften – z.B. Bio und Fairtrade, oder Siegel in einer Art Konkurrenz stehen, wenn beispielsweise ein Produkt als Bio gekennzeichnet ist, ein vergleichbares als Regional. Diese Einflüsse erschweren die Kaufentscheidung und führen im extremen Fall zum Abbruch – der Kunde kauft also keines der Produkte, weil er sich nicht entscheiden kann.
Die Nachhaltigkeitsmanager der Hersteller am POS
Buerke hat sich aber nicht nur mit den Ursachen der Eco Confusion beschäftigt, sondern auch mit Wegen, diese Hemmnisse zu beseitigen. Vermehrte Anstrengungen am Point of Sale sind demnach ein geeignetes Mittel, die Eco Confusion zu beseitigen. Genau auf diesen Weg setzt auch das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensentwicklung (ZNU) der Universität Witten/Herdecke. Deren Standard für die Lebensmittelindustrie soll Antworten liefern, wie nachhaltiger Konsum am POS gefördert werden kann. Ursprünglich wurde der Standard entwickelt, um die Beziehung zwischen Hersteller und Handel in den Bereichen der Nachhaltigkeit zu vereinfachen. Nun will man den Standard nutzen, um Nachhaltigkeit auch den Verbrauchern näher zu bringen. Denn ob ein Produkt als nachhaltiger wahrgenommen wird, hängt in großem Maße davon ab, ob der Hersteller ein gutes und glaubwürdiges Nachhaltigkeitsimage hat. Dabei testen die Wissenschaftler nun neue Wege in der Kundenansprache am Point-of-Sale. Nicht mehr Label, Broschüren oder Plakate sollen die Kunden überzeugen, sondern die Nachhaltigkeitsmanager der Hersteller selbst. In einzelnen Lebensmittelmärkten wurden dafür Nachhaltigkeitstage durchgeführt, an denen Vertreter bekannter Hersteller wie Bahlsen und Ritter Sport, den Kunden direkt als Ansprechpartner zur Verfügung standen. Die Forscher waren mit den Ergebnissen zufrieden, und auch die Hersteller konnten deutliche Steigerungen beim Abverkauf verbuchen. Weitere Tests, ergänzt um neue Kommunikationsansätze, sollen zusätzliche Ergebnisse bringen.
Nun ist klar, die Nachhaltigkeitsmanager können nicht ständig und überall als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Um dennoch eine Antwort auf die Consumer Confusion zu haben, kommen die Mitarbeiter am POS ins Spiel, egal ob die zum eigenen Unternehmen gehören oder bei Vertragshändlern beschäftigt sind. Ohne notwendige Kenntnisse können die Verkaufsmitarbeiter nicht auf Kundenfragen reagieren. Gerade im beratungsintensiveren und nachhaltigkeitsaffinen Bereich der Outdoor-Ausrüstung ein echtes Manko. Diese Erfahrung hat man auch bei Vaude gemacht und die Schulungsreihe Green Shape Campus ins Leben gerufen. Dort werden Mitarbeiter zu den wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen rund um die Produkte geschult. Die Themen reichen von der Lieferkette, über die Fair Wear Foundation und die Nachhaltigkeitsinitative BlueSign, bis hin zu Produktlebenszyklen und Materialkunde. Zurück in den Geschäften sind fortan kompetente Ansprechpartner. Dieses Modell hat sich von Beginn an in den Verkaufszahlen niedergeschlagen und wird deshalb weiter fortgeführt. Über 200 Händler wurden inzwischen auf diesem Weg zu Nachhaltigkeitsexperten geschult.
Mitarbeiter als Nachhaltigkeitsbotschafter
Ganz ähnlich geht auch der Lebensmittelhändler REWE Group vor und nennt das Kind beim Namen – Nachhaltigkeitsbotschafter. Das können Auszubildende sein, genauso aber auch Marktleiter. Entscheidender ist die Begeisterung für Nachhaltigkeitsthemen. „Für uns ist es wichtig, dass unsere Mitarbeiter beim Thema Nachhaltigkeit kompetent sind“, sagt Nicola Tanaskovic, Bereichsleiterin Nachhaltigkeit bei der REWE Group. Die Nachhaltigkeitsbotschafter werden speziell zu Nachhaltigkeitsthemen geschult. Mit diesem Wissen stehen sie in den Märkten als Ansprechpartner für Kunden und Mitarbeiter zur Verfügung. Bislang ist man bei REWE mit diesem Ansatz zufrieden. Die Nachhaltigkeitsbotschafter wirken als Multiplikatoren in die Belegschaft und auch von den Kunden wird der individuellere Ansatz goutiert. Denn die Botschafter setzen in den Märkten die Maßnahmen und Aktionen um, die sie selber identifiziert haben und die in ihrem eigenen Interesse liegen. Vorgeschrieben werden die Themen nicht, nur die Abstimmung mit der erforderlich.
Aber auch die anderen Mitarbeiter im Verkauf werden im Rahmen eines verpflichtenden Schulungsprogramms auch über Nachhaltigkeitsaspekte informiert. Mittels E-Learning werden sie zu grünen Produkten, zu den Bereichen Energie, Klima und Umwelt, sowie Mitarbeiter und gesellschaftliches Engagement geschult. Über 70.000 Mitarbeiter haben die modern und leicht verständlich aufbereiteten Schulungen bislang absolviert. Sie können dann den Kunden grundlegende Fragen zu Nachhaltigkeitsstandards oder Siegeln beantworten. „Wir versuchen allerdings die Themen mit dem jeweiligen Arbeitsumfeld so zu verzahnen, dass beispielweise ein Mitarbeiter an der Käsetheke auch Auskunft über Gentechnik geben kann“, so Tanaskovic.
Direkter Kontakt mit den Lieferanten
Nachhaltigkeit gewinnt bei den Mitarbeitern an Relevanz, ist man bei der REWE Group überzeugt. Seit 2008 betreibt das Unternehmen die diversen Maßnahmen und Aktionen, mit spürbar zunehmender Eigeninitiative der Mitarbeiter, vor allem in den letzten Jahren. Dazu trägt auch die 3-tägige interne Nachhaltigkeitsmesse bei. Rund 3.000 Mitarbeitern wurde das Sortiment nachhaltigerer Produkte präsentiert, sie wurden zu den relevanten Nachhaltigkeitsthemen geschult und kamen direkt mit den Lieferanten in Kontakt. „Die Aktion war ein voller Erfolg“, so Tanaskovic. „Die Mitarbeiter sind mit spürbarer Begeisterung zurück in ihre Filialen gegangen“. Ein wichtiges Feedback: Zahlreiche Teilnehmer erklärten, erst durch die Teilnahme an der Messe ein tieferes Verständnis für das Nachhaltigkeitsengagement der REWE Group erhalten zu haben. „Mit dieser Erfahrung können sie die Themen natürlich auch besser im Berufsalltag kommunizieren“, sagt Tanaskovic. Das kommt dann unter anderem den Nachhaltigkeitswochen zugute, die die REWE Group 3-mal im Jahr in den Märkten durchführt. Neben Aufklärungsaktionen am POS, oft gemeinsam mit Partnern wie der Umweltorganisation NABU, werden in dieser Zeit nachhaltigere Produkte verstärkt beworben.
Kundinnen nachhaltige Kaufentscheidungen ermöglichen
Die eigenen Angestellten als Botschafter für Nachhaltigkeit zu verstehen, ist ein Ansatz, dem auch das Modeunternehmen C&A folgt. Die Logik dahinter: Frauen machen den Großteil der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie aus genauso wie im eigenen Unternehmen. Auch auf Kundenseite überwiegt das weibliche Geschlecht, entsprechend konzentriert das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsaktivitäten auf Frauen. „Unsere mehr als 60.000 Mitarbeiter spielen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung unseres Engagements für nachhaltige Mode“, heißt es dazu im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht. Die Mitarbeiterinnen sollen Botschafter der eigenen Marke sein und in den Geschäften den Kundinnen nachhaltige Kaufentscheidungen ermöglichen. Erklärtes Ziel ist es, dieses Engagement weiter auszubauen. Einen ganz anderen Weg nachhaltigen Konsum zu fördern, testet der Versandhändler Otto-Group und stellt dabei sogar das eigene Geschäftsmodell in Frage. Nach dem Motto, der nachhaltigste Konsum ist der, der gar nicht stattfindet, setzen die Hamburger mit ihrer Plattform OTTO NOW auf den aktuellen Trend der Share-Economy. Nicht kaufen, sondern mieten heißt die Devise. Möglich ist dies mit Fernsehgeräten, Waschmaschinen, Tablets oder Kaffeevollautomaten. Es sind aber auch Drohnen oder E-Bikes im Angebot. „Die Idee, Produkte auf Zeit zu besitzen und lediglich zu mieten, hat in Deutschland ein neues Level erreicht“, sagt Marc Opelt, Bereichsvorstand Vertrieb. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, „die Bereitschaft der Konsumenten für Mietangebote zu testen.“ OTTO NOW bietet die Produkte als neuwertig, für mindestens drei Monate, zur Miete an. Neuwertig heißt, dass die Produkte wie neu, professionell gereinigt und voll funktionsfähig sind. Bei Produkten, auf denen persönliche Daten gespeichert werden können, werden diese entfernt und das Gerät auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Ob dieses Modell die Zukunft für den Versandhändler bedeuten kann, werden die Erfahrungen zeigen.
Dieser Text ist erstmalig im CSR-Magazin und auf csr-news erschienen.