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Die große Transformation «Lokales Wissen entscheidet»

Die große Transformation «Lokales Wissen entscheidet»

BNE-Portal: Im Gutachten des WBGU wird die Transformation als fast unlösbare Herkulesaufgabe bezeichnet. Wie kann sie dennoch gelingen?

Prof. Claus Leggewie: Nur, indem man sie kleinarbeitet. Transformation ist eine analytische Kategorie – wir sagen damit: Die Umstellung auf eine dekarbonisierte Wirtschaft und Gesellschaft wird so tief eingreifen, wie es die neolithische und die industrielle Revolution seinerzeit getan haben. Aus handlungspraktischer Perspektive tragen zur „großen“ Transformation die vielen „kleinen“ Schritte bei, die in den Unternehmen, bei den Konsumenten und auch bei den politischen Eliten getan werden. Und die historische Erfahrung zeigt, dass dann gelegentlich Synergien und große Sprünge erfolgen. Am Beginn eines Puzzles oder Mosaiks denkt man, das ist nie zu schaffen, so viele Einzelteile zusammenzusetzen, wenn man durchhält, geht dann alles ganz leicht und schnell.

Die Probleme und Auswirkungen des Klimawandels und der Erderwärmung scheinen eher abstrakt, sind aber real. Um die Menschen für das Thema zu gewinnen, wird meist mit Katastrophenszenarien gearbeitet. Geht es auch anders?

Viele operieren mit dieser Katastrophenangst und behaupten, es müssten erst die ganz großen Stürme kommen, dann reißen wir das Steuer um. Die historische Erfahrung zeigt, dass das nicht stimmt. Die Energiewende wird dann gelingen, wenn sie auch plausibel und attraktiv erscheint, als ob es den Klimawandel gar nicht gäbe. Ich halte dieses mittlerweile global auf Touren kommende Projekt für das attraktivste Entwicklungsprojekt überhaupt, es setzt Fantasie frei, es fokussiert Ingenieur- und Technikkompetenz, es kann zu einem Projekt für eine Generation werden, der es nicht reicht, Smartphones und Sozialmedien zu bedienen.

Was passiert eigentlich, wenn Vorhersagen oder Szenarien nicht eintreffen, sich beispielsweise die Erde ohne gravierende Auswirkungen stärker als 2 Grad erwärmt. Lassen sich Aufmerksamkeit und Interesse an einem Thema über Jahrzehnte erhalten?

Wir sind längst in einer Welt über zwei Grad angelangt, wenn nicht sehr rasch etwas passiert. Tatsächlich ist der Nachrichtenwert von Ereignissen, die sich über einen sehr langen Zeitraum erstrecken eher gering. Man muss also immer wieder Anlässe schaffen, wie es durch die Klimakonferenzen aber auch durch Naturkatastrophen geschieht. Das können aber ebenso positive Beispiele sein von Menschen, Projekten oder Initiativen.

Es gibt eine Gruppe von Skeptikern, die den anthropogenen Klimawandel leugnet. Haben sie eine Chance die öffentliche Meinung zu verändern?

Fast zwei Drittel der Bevölkerung glauben fest an den Klimawandel, dass er von Menschen verursacht wird und dass wir etwas dagegen unternehmen müssen. Die Klimaskeptiker sitzen in mächtigen Positionen, widerlegen aber nicht die wissenschaftliche Erkenntnis, sondern versuchen die Angst zu erzeugen, Politik und Wissenschaft wollten den Menschen ihre Freiheit nehmen. Medien greifen deren Behauptungen gerne auf, vor allem eher konservative Wirtschaftsjournalisten behaupten immer wieder, das Gutachten entspräche einer totalitären Weltanschauung, die den Gesellschaftsvertrag als eine Art Zwangskorsett formuliert. Das ist natürlich vollkommener Unsinn, tatsächlich enthält das Gutachten umfangreiche Beiträge über demokratische Partizipation. Etwas anderes zu behaupten ist entweder bösartig oder ignorant.

Was kann man dagegen tun?

Wir müssen weiterhin an die Vernunft der Menschen appellieren und an die Einhaltung des Generationenvertrags. Schließlich dürfen wir nicht die Freiheit zukünftiger Generationen beschränken. Wir müssen die positiven Aspekte der Energiewende in den Vordergrund stellen. Grundsätzlich stimmen ja viele Menschen den Maßnahmen zum Klimaschutz zu, aber wenn sie selber davon betroffen sind, nimmt die Zustimmung ab. Anreizsysteme müssen also so gestaltet sein, dass sie helfen ein Ziel zu erreichen, ohne die Freiheit der Bürger einzuschränken.

Gibt es Beispiele für solche Anreizsysteme?

Die Organspende ist dafür ein gutes Beispiel. Während man ihr in Deutschland explizit zustimmen muss, ist sie in Österreich Standard und man muss ihr ausdrücklich widersprechen. In Österreich gibt es dadurch wesentlich mehr Organspender, ohne jedoch die Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Solche Mittel kann ich mir auch bei den Themen Energie, Konsum oder Mobilität vorstellen. Der amerikanische Jurist Cass Sunstein spricht hier von „Schubsern“, und er hat eine Zeitlang eine entsprechende Regulierungsbehörde der Obama-Administration geleitet.

Das Gutachten zur großen Transformation sieht Bildung und Wissen als wesentliche Voraussetzung für einsichtiges Handeln. Wie ist es um unseren Wissensstand bestellt?

Die meisten Menschen wissen um den Klimawandel, Artensterben, Meeresversauerung, Plastikmüll etc. und sie sind im Prinzip auch zu guten Teilen zu Änderungen ihres Lebensstils bereit. Was uns fehlt, ist praktisches Handlungswissen, gerade in ökologischer Hinsicht, auch Rollenmodelle und gute Praktiken, die man imitieren oder modifizieren kann. Das schafft die notwendigen Selbstwirksamkeitsgefühle, die einem zeigen, man ist Teil eines größeren Ganzen.

Die große Transformation braucht Vorbilder, Pioniere, Leuchttürme. Auch in oder für die Bildung?

Wir haben aber keinen Einstein oder Mandela, viel hilfreicher sind ohnehin zum Beispiel die Schönauer Energierebellen, deren Vorbild viele animiert hat, ihrerseits Energiegenossenschaften zu bilden. Das Leben hält genug Leuchttürme bereit.

Wie muss Bildung für eine nachhaltige Entwicklung gestaltet sein, damit sie ihr Ziel erreicht und ihren Zweck erfüllt? Muss jeder den Klimawandel verstehen?

Das würde helfen, aber vor allem muss Bildung praktisch und projektbezogen sein. Was nützt es, wenn ich alles über Kohlenwasserstoffe im Chemieunterricht gelernt habe, aber kein Muster praktischen Handelns bekomme? Natürlich kann man tolle Bildungsprogramme in den Schulen und Kindergärten starten, und dann haben wir in 20 oder 30 Jahren eine Generation, die ökologisch sensibilisiert ist. Aber die Generation mit dem größten ökologischen Fußabdruck, die Babyboomer, die erreiche ich damit nicht. Bildungsprogramme oder Aufklärungskampagnen müssen aber genau diese Gruppe im Blick haben, die müssen ihr Verhalten ändern.

Wie soll man eine ganze Generation überzeugen?

Dafür ist eine gesellschaftliche Mobilisierung notwendig und die passiert auch, die Reaktionen auf Fukushima haben das gezeigt. Seit den 1970er Jahren gibt es einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung, der sein Ernährungsverhalten, sein Mobilitätsverhalten und den Umgang mit Energie ändert. Das ist genau das Programm, das durch intelligente Technologie, durch kluge politische Entscheidungen und durch eine bürgerschaftliche Mobilisierung weitere Anreize schaffen kann. Es geht nicht darum, die Menschen nur zu informieren und ihnen Wissen zu vermitteln. Sie müssen es erleben, selber machen und so lokales Wissen schaffen. Dieses lokale Wissen wird am Ende ausschlaggebend sein für die Bewältigung der Klimakrise.

Die Fragen stellte Thomas Feldhaus.

Das Interview erschien zuerst auf bne-portal.de.

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein
Eine erfolgreiche Zusammenarbeit von NGOs und Unternehmen

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit von NGOs und Unternehmen

Was hat es tatsächlich auf sich mit der Zusammenarbeit von Unternehmen und NGOs (non-governmental organization)? Welche Chancen bieten sich, was sind die Herausforderungen – und kann das wirklich funktionieren? Ein erfolgreiches Beispiel ist die Kooperation zwischen dem Modehaus C&A und dem Kinderhilfswerk terres des hommes. Im Interview geben Thorsten Rolfes, Leiter Unternehmenskommunikation bei C&A, und Barbara Küppers, Leiterin des Referats Kinderrechte bei terre des hommes, Einblick in eine starke Partnerschaft.

Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?

Küppers: Nach dem ersten Kennenlernen haben wir beide, entgegen unseren Erwartungen, festgestellt, dass wir eigentlich gut zusammenarbeiten könnten. Von dieser ersten Erkenntnis bis zum konkreten Handeln hat es aber noch zwei Jahre gedauert. Sowohl terre des hommes als auch C&A waren zu dieser Zeit, und sind es noch heute, im südindischen Tirupur tätig. Der gegenseitige Nutzen einer Zusammenarbeit war auch schnell deutlich, aber beide Parteien waren naturgemäß zunächst skeptisch. Wir mussten in unseren Organisationen erst intensiv um Vertrauen werben.

Rolfes: Es galt zunächst festzustellen, ob wir gemeinsame Ziele haben und ob diese ehrlich und authentisch sind. Unternehmen wird ja schnell Greenwashing vorgeworfen oder der Verdacht, sie wollen sich mit einer NGO vor Vorwürfen schützen. Wir konnten terre des hommes aber doch schnell davon überzeugen, dass der Schutz von Kindern in unserer Unternehmenspolitik fest verankert ist und für die Eigentümerfamilie von C&A ein wichtiges Anliegen darstellt. Das gemeinsame Ziel deckte sich aber auch mit unseren unternehmerischen Herausforderungen, schließlich lassen wir als Textilhersteller unsere Produkte in Ländern wie Indien und Bangladesh produzieren, sind also mit den Problemen konfrontiert.

Welche Faktoren waren für die Kooperation besonders wichtig?

Rolfes: Wichtig ist gegenseitiges Vertrauen. Das hört sich leicht an, aber Vertrauen aufbauen braucht Zeit. Dazu gehört auch Verlässlichkeit, also die Möglichkeit, die andere Seite jederzeit erreichen zu können, genauso wie der kontinuierliche Dialog über die gemeinsamen Themen. Diese Aspekte sind in unserer Zusammenarbeit gegeben und deshalb besteht die Kooperation auch schon seit 14 Jahren.

Küppers: Für uns war tatsächlich das gemeinsame Ziel ausschlaggebend für die Zusammenarbeit. Es entstanden Synergien, die uns vor Ort geholfen haben. Wir waren ja schon vorher in Tirupur tätig, hatten aber nie Zugang zu den Fabriken. Durch C&A war der Druck auf die Fabrikanten gegeben und wir konnten parallel die notwendige gesellschaftliche Aufklärung bei den Familien, in den Schulen und Behörden vorantreiben. Durch dieses Zusammenwirken wurden auch schnell Erfolge sichtbar, die Kinderarbeit in Tirupur ging deutlich zurück. Trotzdem haben wir bei diesem Thema auch eine klare Forderung: Die beteiligten Firmen müssen Verantwortung für die Beseitigung von Kinderarbeit oder anderer Missstände übernehmen. Deshalb liegt es nahe, dass sich Betriebe finanziell an den Alternativprogrammen für die Betroffenen beteiligen. Insofern nehmen wir nicht nur dankbar einen Scheck entgegen, sondern wir halten diese Forderungen aufrecht und nehmen die Partner in die Pflicht.

Wie konnten Sie Vorbehalte in den eigenen Reihen ausräumen?

Küppers: Auch an dieser Stelle ist erstmal die gemeinsame Zielsetzung entscheidend. Dennoch werden Unternehmenskooperationen von manchen unserer Mitglieder sehr kritisch betrachtet. Überzeugen können wir vor allem durch Transparenz und Erfolge, also beispielsweise die sichtbare Reduzierung von Kinderarbeit. Trotzdem bleiben sie ein ständiges Diskussionsthema, unsere Mitglieder müssen über die neuesten Entwicklungen stets informiert werden. Dieser Prozess ist allerdings sehr wichtig, damit wir unsere Wachsamkeit behalten.

Rolfes: Aus unserer Sicht spielt die Zeitachse eine wichtige Rolle. Als wir mit unserer Partnerschaft gestartet sind, wurde in weiten Teilen der Wirtschaft noch völlig anders gedacht als heute. Die Zusammenarbeit mit einer NGO wurde sehr kritisch betrachtet. In internen Gesprächen wurden vor allem die Risiken betont, die Angst davor, von einer NGO getrieben zu werden. Im Verlauf der Zeit fand allerdings ein Umdenken statt. Immer öfter wurden die Chancen gesehen und die Möglichkeiten, voneinander zu lernen. Glücklicherweise hat sich diese Betrachtungsweise langfristig durchgesetzt. Heute sehen wir verstärkt die Zusammenarbeit von NGOs mit der Wirtschaft, aber auch von konkurrierenden Unternehmen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Es ist die Überzeugung gewachsen, dass sich viele Probleme nur gemeinsam lösen lassen.

Welche Faktoren machen den Erfolg einer guten Zusammenarbeit aus?

Küppers: Die Aufgabe von NGOs ist es natürlich, Unternehmenspolitik kritisch zu hinterfragen. Allerdings müssen sich NGOs, die Unternehmenskooperationen eingehen, klar entscheiden. Auf der einen Seite Kampagnen gegen Unternehmen starten und auf der anderen Seite mit den gleichen Unternehmen kooperieren, geht nicht. Natürlich gibt es einen Dialog, in dem beiden Seiten betrachtet werden. Wir stellen auch klare Forderungen und wir erwarten entsprechende Reaktionen. Würden diese ausbleiben, dann würden wir auch die „Gangart“ wechseln. Diesbezüglich funktioniert unsere Partnerschaft mit C&A sehr gut, unter anderem weil es ein persönliches Vertrauensverhältnis der beteiligten Personen gibt. Wir können offen miteinander reden und Probleme klar ansprechen. Diese Klarheit ist wichtig, um auf Kritik reagieren zu können, die es selbstverständlich auch gibt.

Rolfes: Für uns war auch immer wichtig, dass die Kooperation sehr lösungsorientiert arbeitet, und zwar lösungsorientiert im Sinne der betroffenen Menschen. Also langfristige Erfolge erreichen, auch wenn diese manchmal klein sind. Mir persönlich ist beispielsweise immer die glaubwürdige Unterstützung durch die Eigentümerfamilie wichtig gewesen. Ein klares Bekenntnis zur Veränderung trotz aller unternehmerischen Zwänge.

Welche Reaktionen bekommen Sie?

Küppers: Wir erhalten Feedback durch die regelmäßigen Diskussionen mit unseren Mitgliedern. Auch wenn diese kritisch verlaufen, so hat die Mehrheit immer für die Fortführung der Kooperation gestimmt. Kooperationen sind immer ein Vabanquespiel. Schnell kommt der Vorwurf des Greenwashing auf, den wir auf jeden Fall vermeiden wollen. Auf der anderen Seite wollen wir Firmen natürlich auch keinen Freibrief ausstellen. In der Summe bekommen wir aber positive Reaktionen, sowohl von Mitgliedern und Spendern als auch von anderen Unternehmen. Insofern hat uns diese Zusammenarbeit so manche Tür geöffnet.

Rolfes: Direkte Rückmeldungen von Kunden bekommen wir eher selten. Von den Mitarbeitern wird die Zusammenarbeit aber sehr positiv bewertet. Das ist sehr erfreulich, weil es auch ein wichtiger Beitrag für die Unternehmenskultur ist. Auf der anderen Seite werden unsere Bestrebungen, Missstände zu beseitigen, durch die Kooperation auch sehr glaubwürdig. Nicht wir sagen, was richtig ist, sondern wir setzen hier ganz stark auf die Kompetenz von terre des hommes.

Küppers: Für mich wird der Erfolg auch durch das Engagement der C&A-Beschäftigten deutlich. Die Mitarbeiter interessieren sich, fragen nach und bringen persönliches Engagement ein. Wenn eine Zusammenarbeit so aufgenommen wird, dann funktioniert sie und dann trägt sie auch zur Mitarbeitermotivation bei.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Thomas Feldhaus

Ergänzendes zum Thema

Informationen über die Kooperation von C&A und terres des hommes

Bereits im Juni 1999 traten das Modehaus C&A und das entwicklungspolitische Kinderhilfswerk terre des hommes gemeinsam vor die Presse, um ihre Zusammenarbeit gegen Kinderarbeit in den Textilfabriken Tirupurs, Indien, zu verkünden. Vorangegangen waren zwei Jahre intensiver Vorarbeit, in denen ein gemeinsames Projekt formuliert und alle Bedenken zerstreut wurden. Inzwischen sind 14 Jahre vergangen und die Zusammenarbeit wurde auf weitere Projekte, unter anderem gegen das Sumangali-System (Brautgeld für Frauen) und die daraus resultierenden sklavenähnlichen Bedingungen in den Spinnereien Süd-Indiens, ausgeweitet. Beide Kooperationspartner bewerten die Zusammenarbeit als erfolgreich und planen eine Fortführung der gemeinsamen Unternehmungen.

Der Text wurde auf csr-news und marconomy.de veröffentlicht.

Posted by Thomas Feldhaus in Allgemein