Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, scheint auf den ersten Blick eine machbare Aufgabe. Tatsächlich bedeutet diese Fokussierung auch auslassen, weglassen können. Spätestens mit der Einführung der GRI G4-Richtlinie rückte das Prinzip der Wesentlichkeit in den Fokus der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dabei spielte es auch schon in der vorherigen Version eine Rolle und ist nicht zuletzt auch aus der Finanzberichterstattung bekannt. Doch mit G4 wurde der Anspruch zur Vollständigkeit aufgeweicht bzw. neu definiert und die Konzentration auf wesentliche Aspekte trat in den Mittelpunkt. Das hatte durchaus auch praktische Gründe, denn Berichte, die alle Aspekte und Kennzahlen abdecken wollten, wurden zunehmend umfangreicher. In diesem Spannungsfeld zwischen Vollständigkeit und Wesentlichkeit bewegt sich nun die Berichterstattung und das Nachhaltigkeitsmanagement, das hat sich auch durch die inzwischen anzuwendenden GRI-Standards nicht geändert. Zudem setzen auch andere Standards das Prinzip der Wesentlichkeit in den Fokus.
Doch mit dieser Fokussierung begann auch eine Unsicherheit bei zahlreichen berichtenden Unternehmen. Zu den Kernfragen gehörte: Wie sollen die wesentlichen Aspekte ermittelt werden und wie wirkt sich deren Ermittlung auf die Nachhaltigkeitsstrategie aus? In einer aktuellen Studie der Hamburger Beratungsagentur Kirchhoff Consult, zeigte sich, dass bereits 92 Prozent der untersuchten DAX 160-Unternehmen eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen. Davon haben 57 Prozent ihre Analyse auch in Form einer Wesentlichkeitsmatrix in der Berichterstattung dargestellt. Spannend die Frage, wo die Unternehmen ihre wesentlichen Auswirkungen verortet haben. Tatsächlich haben 84 Prozent der Unternehmen mit einer Wesentlichkeitsmatrix, die „Bedeutung für das Unternehmen“ in der Matrix verortet während bei 14 Prozent die „Auswirkungen des Unternehmens“ verortet werden. Woran liegt das? Immerhin nutzen 85 Prozent der Unternehmen das Rahmenwerk der GRI.
Auswirkungen des unternehmerischen Handelns auf Umwelt und Gesellschaft
Der Wesentlichkeitsgrundsatz wurde beim Übergang von den G4-Richtlinien zu den GRI-Standards nicht geändert. Einige Schlüsselbegriffe zur Definition der Wesentlichkeit wurden jedoch geklärt. In den GRI-Standards bezieht sich der Begriff „Wirkung“ auf die Auswirkungen, die ein Unternehmen auf die Wirtschaft, die Umwelt und/oder die Gesellschaft hat, was wiederum auf ihren (positiven oder negativen) Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung hinweisen kann. Es bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Auswirkungen auf das Unternehmen, beispielsweise durch Reputationsrisiken. So muss ein Unternehmen wesentliche Themen identifizieren, indem es sowohl die Bedeutung ihrer wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen, als auch ihren substanziellen Einfluss auf die Bewertungen und Entscheidungen von Interessengruppen berücksichtigt. Es ist diese zweite Dimension, die Berücksichtigung der Stakeholder-Perspektive, die GRI explizit verlangt. Ein Thema kann demnach wesentlich sein, auch wenn es nur für eine Dimension des Wesentlichkeitsprinzips von Bedeutung ist. Mit diesen Klarstellungen möchte die in Amsterdam ansässige Global Reporting Initiative sicherstellen, dass ein Unternehmen bei der Festlegung wesentlicher Themen das vollständige Bild seiner wesentlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Umwelt und die Gesellschaft nach außen betrachtet – nicht nur solche, die unmittelbaren Auswirkungen aus unternehmerischer Sicht haben.
Dies sei eine der Herausforderungen, die man bei zahlreichen Berichterstattern sehen würde, räumt man in Amsterdam ein. Nicht selten würden sich die Unternehmen nur auf die Auswirkungen konzentrieren, die sich auf die Organisation selbst auswirken könnten. „Nach unserer Erfahrung besteht eine weitere Herausforderung darin, die relevanten Berichtsinhalte zu definieren.“ GRI erwartet von einem Nachhaltigkeitsbericht erkennbare Schwerpunkte, in denen sich die Bedeutung eines Themas widerspiegelt. Genau diese Fokussierung ist auch notwendig, um im Nachhaltigkeitsmanagement die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Bei den 160 DAX-Unternehmen, die von Kirchhoff Consult analysiert wurden, führte die Wesentlichkeitsanalyse zu durchschnittlich 15 als wesentlich identifizierten Themen. Allerdings reicht die Spanne dabei von drei bis zu 43 wesentlichen Themen.
Verschiedene Rahmenwerke setzen unterschiedliche Schwerpunkte
Schon in den vergangenen Jahren haben Studien gezeigt, dass dabei vor allem unterschiedliche Definitionen von Wesentlichkeit und die unterschiedlichen Analyseprozesse eine Rolle spielen. „Im Grunde gibt es drei Anforderungsdimensionen: die Anforderungen der Stakeholder, die Bedeutung für das Unternehmen (unter anderem durch Reputation oder regulatorischen Druck) und die Belastungen für Umwelt und Gesellschaft (die sich dann ihrerseits die Stakeholder-Meinung und die Bedeutung für das Unternehmen beeinflussen)“, sagt Moritz Nill, der das Berliner Büro der Management-Beratung Systain Consulting leitet. „Zudem setzen die verschiedenen Rahmenwerke unterschiedliche Schwerpunkte hinsichtlich dieser Dimensionen: Eine Berichterstattung im Lagebericht legt einen Fokus auf den dritten Aspekt, wohingegen GRI sehr stark die Stakeholder betont. Da an eine Nachhaltigkeitsabteilung Anforderungen aus unterschiedlichen Richtungen herangetragen werden, sollte aus unserer Sicht eine Wesentlichkeitsanalyse alle Aspekte umfassen. Eine Auswertung und davon abgeleitete Priorisierung können dann entsprechend der jeweiligen Adressaten erfolgen.“
Doch in der Realität gelingt die Identifikation wesentlicher Themen nicht jedem Unternehmen, zeigt die Erfahrung der Systain-Berater. Nicht immer würden Wesentlichkeitsanalysen klare und belastbare Erkenntnisse liefern. „Nachhaltigkeit betrifft sehr viele unterschiedliche Aspekte (Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch, Gefährdung von Menschenrechten, …), die oft auch untereinander verwoben sind. Unternehmen sind darüber hinaus höchst komplex: wichtige Vorprodukte stammen von Tausenden von Lieferanten aus langen, verzweigten und weltumspannenden Lieferketten“, beschreibt Nill die Herausforderung für Unternehmen.
Dieser Text wurde zuerst im CSR-Magazin veröffentlicht.